Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Fritz Stier-Somlo, Die Angestellt icherung. 395 
  
Wünsche gefunden haben. Mehrfach sind auch in der sozialpolitischen Gesetzgebung (gelegentlich 
der Gewerbeordnungsnovelle vom 1. Oktober 1900, in dem Kaufmannsgerichtsgesetz vom 1. Januar 
1905, dem Entwurf zu einer Gewerbeordnungsnovelle vom 16. Dezember 1907 etc.) ihre Forde- 
rungen berücksichtigt worden. Insbesondere haben in den letzten Jahren die Pensionsbestrebungen 
der Privatbeamten bei allen politischen Parteien lebhafte Unterstützung gefunden. 
12. Das Versicherungsgesetz für Angestellte, das am 20. Dezember 
1911 veröffentlicht worden und am 1. Januar 1913 in Kraft getreten ist, hat die Ab- 
grenzung dieser Kreise nach den verschiedensten Seiten nötig gemacht. Dabei ist der Gesetz- 
geber zu der Erkenntnis gekommen, dass die Privatbeamtenschaft ein zusammengehöriges 
Ganzes, ein besonderer Stand mit besonderen wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnissen 
ist, der einer eigenen Versicherungsorganisation bedarf. In den Organen der neuen Reichs- 
versicherungsanstalt für die Privatbeamten -Versicherung, in denen die Interessentenkreise 
paritätisch vertreten sind, werden die verschiedenen Angestelltengruppen Gelegenheit haben, 
in engere Fühlung miteinander zu treten. Wenn sie diese Gelegenheit benutzen, um sich über 
weitere Punkte ihres sozialpolitischen Programms zu verständigen, und wenn sie dabei die 
Unterstützung der Wissenschaft finden, dann werden sie in absehbarer Zeit auch über noch vor- 
handene hemmende Momente bei dem Unternehmertum und den gesetzgebenden Körperschaften 
hinweg zu dem vielen Sozialreformern vorschwebenden Endziele eines einheitlichen Angestellten- 
rechts gelangen. (Des Näheren vgl. den nachfolgenden Abschnitt.) 
54. Abschnitt. 
Die Angestelltenversicherung. 
Von 
Hochschul-Professor Dr. Fritz Stier-Somlo, Cöln. 
Literatur : 
‚Systematische Darstellungen: Stier-Somlo, Studium zum sozialen Recht 1912; Kaskel-Sitzler, 
Grundriss des sozialen Versicherungsrechts 1912; Kommentare und Handausgaben von Bernstein- 
Kupferberg, Bruck; Brunn; Cuno; Döttmann-Appelius-Seelmann; Habermann; 
Hagen; Hoch; Krull; anes-Königsberger; Meinel; Mentzel-Schulz-Sitzler; 
Potthoff; Stier-Somlo, alle 1912/13. 
1. Es wird erst einer späteren Zeit vorbehalten bleiben, die grossen gesellschaftlichen Ver- 
schiebungen, die sich infolge der industriellen Tätigkeit in Deutschland seit einigen Jahrzehnten 
vollziehen, in ihrer ganzen Wesenheit, in ihren Ursprüngen, Tendenzen und in ihrem Wert zu er- 
kennen. Dann wird man erst auch volle Klarheit haben über die eigenartige Erscheinung eines sich 
zwischen den Stand der Unternehmer und der Arbeiter einschiebenden mittleren Standes, den 
man schon gewohnt ist, den der Privatbeamten zu nennen. Jedenfalls sehr bemerkenswert wird 
es bleiben, dass die durch nicht immer einheitlich vorgehende Organisationsarbeit geförderte und 
gestärkte Gruppe dieser sogen. Privatbeamten es vermocht hat, in kürzester Zeit die Gesetzgebung 
in Bewegung zu setzen, um eine den Besonderheiten entsprechende Versicherung ins Leben zu rufen. 
Der Streit über die Notwendigkeit dieses Gesetzgebungswerkes, wie es sich nunmehr in dem Ver- 
sicherungsgesetz für Angestellte vom 20. Dezember 1911 darstellt, ist allmählich verstummt. Des-
	        
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