Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

James Breit, Börsen- und Börsengesetzgebung. 347 
  
wesens. Am 16. April 1894 beschloss der Reichstag die verbündete Regierung zu ersuchen 
auf Grund der Ergebnisse der Börsenenquete dem Reichstag den Entwurf eines Börsen- 
gesetzes tunlichst bald vorzulegen. 
III. Auf Grund dieser Resolution ging am 3. Dezember 1895 dem Reichstag der Ent- 
wurf eines Börsengesetzes nebst einer ausführlichen Begründung zu, und zwar gleichzeitig 
mit dem Entwurf des späteren Bank-Depot-Gesetzes. Der Entwurf schloss sich in den 
wesentlichen Punkten den Vorschlägen der Börsenenquetekommission an. Nur erstreckte er die 
Börsenterminregister auch auf den Handel mit Wertpapieren. 
Der Reichstag ging dagegen noch ganz erheblic in der Beschränkung des Börsen- 
terminhandels über diese Vorschläge hinaus. Nachdem bereits die Reichstagskommission 
den Börsenterminhandel in Anteilen von Bergwerks- und Fabrikunternehmungen untersagt 
hatte, dehnte das Plenum in zweiter Lesung dieses Verbot auf den börsenmässigen Termin- 
handel in Getreide und Mühlenfabrikaten aus. Am 22. Juni 1896 erhielt das Gesetz die 
kaiserliche Signatur, am 1. Juli 1896 trat es in Kraft. 
IV. Schr bald zeigte sich, dass das Börsengesetz in seinen wichtigsten zivilrechtlichen 
Bestimmungen ein Fehlschlag war. Das Terminregister versagte vollständig; kaum einige 
hundert Personen liessen sich eintragen. Die Möglichkeit der Erhebung des Register- 
einwandes, die selbst Bankiers, langjährigen Börsenbesuchern usw. offen stand, führte in 
zahlreichen Fällen zu schweren Verletzungen von Treu und Glauben. Da die Spekulation 
den börsenmässigen Terminhandel in Fabrik- und Bergwerksanteilen nicht vollständig ent- 
behren konnte, suchte der Börsenhandel für diese Spekulation neue Formen zu finden, die 
tatsächlich Zeitgeschäfte waren, formell sich aber als Kassageschäfte repräsentierten. Sollten 
daher die Bestimmungen über den Börsenterminhandel nicht bloss auf dem Papier stehen, 
so musste der oberste Gerichtshof dem Gesetzgeber zu Hilfe kommen und Geschäfte als 
Börsentermingeschäfte behandeln, die zweifellos nicht unter die gesetzliche Definition des 
Börsentermingeschäftes fielen, wie sie $ 48 Börsengesetz aulstellte. 
Endlich aber entbehrte der börsenmässige Produktenzeithandel jeglicher rechtlichen 
Sicherheit. Die tatsächliche Unentbehrlichkeit eines börsenmässigen Getreidezeithandels 
kollidierte mit dem absoluten Verbot des Getreideterminhandels und führte zur Einrichtung 
eines börsenmässigen Lieferungshandels an der Berliner Börse, dessen rechtlicher Bestand 
jedenfalls zweifelhaft war. 
Alle diese Umstände liessen sehr bald eine Reform des Börsengesetzes angezeigt 
erscheinen. Die Entwürfe von 1904 und 1906 kamen infolge des Schlusses der Session und 
der Auflösung des Reichstages nicht zur Verabschiedung. Erst der dritte Entwurf der 
Novelle brachte die dringend notwendige Reform. Das Börsenterminregister fiel, das un- 
bedingte Verbot des Börsenterminhandels wurde praktisch erheblich gemildert. Die Novelle 
datiert vom 8. Mai 1908, sie ist am 1. Juni 1908 in Kraft getreten. 
V. Das Börsengesetz enthält keine vollständige Regelung des Börsenwesens.. Es 
beschränkt sich vielmehr auf die Normierung der allgemeinen Grundlagen des Börsenrechtes. 
Seine notwendige Ergänzung erhält es durch die einzelnen Börsenordnungen. Eine solche 
Börsenordnung ist für jede Börse zu erlassen. 
Der erste Abschnitt (allgemeine Bestimmungen über die Börse und deren Organe) 
unterstellt zunächst die Errichtung jeder Börse der Genehmigung der Landesregierung. Die 
Regierung übt gleichzeitig die Aufsicht über die Börse aus. Die unmittelbare 
Aufsicht kann sie Handelsorganen, Handelskammern und kaufmännischen Korporationen 
übertragen. Ihr steht auch das Recht zu, bestehende Börsen aufzuheben. Als Organ der 
Landesregierung funktionieren bei den einzelnen Börsen sogenannte Staatskommissare, 
deren wesentliche Aufgabe die Kontrolle des gesamten Börsenwesens ist. 
Der Inhalt der Börsenordnung ist teils obligatorischer, teils fakultativer Natur. 
Obligatorisch sind für jede Börsenordnung Bestimmungen: 1. über die Börsenleitung und 
ihre"Organe; 2. über die Geschäftszweige, für welche die Börseneinrichtungen bestimmt sind;
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.