Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

360 Hugo Thiel, Die Bedeutung der Landwirtschaft. 
Abhebung der Amortisationsquoten zu dauernder Verschuldung geführt; unser fein ausgearbeitetes 
Hypothekenrecht erleichtert die Aufnahme oder die Entstehung von Verschuldungen in einer 
Höhe, dass sie niemals gelöscht werden können, und ein den Verhältnissen des Grund- 
besitzes nicht genügend angepasstes Erbrecht zwingt in allen Fällen, wo ein nicht 
bevorrechteter Anerbe den väterlichen Besitz übernimmt, denselben in eine mit jedem 
Erbfall immer verderblichere Schuldknechtschafl. Wenn man diese Ansichten teilt so 
sind die staatlichen Mittel zur Förderung der Landwirtschaft leicht zu finden. Viele 
werden geneigt sein, hierbei in erster Linie an staatliche Schutzzölle für landw. Produkte zu 
denken. Es ist aber zu bezweifeln, ob sie auf die Dauer, wenn sie wenigstens über ein be- 
scheidenes Mass hinausgehen der Landwirtschaft nützen werden. Denn es ist nicht zu vermeiden. 
dass sie die Tendenz haben die Güterpreise in die Höhe zu treiben und dass die späteren Erwerber 
dann unter erhöhter Zinslast zu leiden haben werden. In der Tat ist in den letzten Jahren schon 
ein recht bedenkliches Ansteigen der Güterpreise konstatiert worden. Was seinerzeit ganz be- 
rechtigt wer um ein Überfluten der heimischen Landwirtschaft mit billigen Produkten des Aus- 
landes zu verhüten kann daher seinerzeit um so eher zu Katastrophen führen wenn in einem Lande 
des allgemeinen Stimmrechts die landw. Bevölkerung immer mehr in die Minorität gelangt ist und 
die Industrie sich stark genug fühlt ihr: Schutzzölle auch ohne Unterstützung der landw. Bevölke- 
rung aufrecht zu erhalten und die landwirtschaftlichen Schutzzölle zu Fall zu bringen. 
Von dauerndem Einfluss werden in erster Linie Massregeln der Gesetzgebung und Ver- 
waltung sein, welche dem Wesen der Landwirtschaft mehr gerecht werden als viele der jetzt 
geltenden, welche deutlich zeigen, dass die Politik, welche durch städtische Einflüsse und 
die in den Städten erscheinenden Zeitungen stark beeinflusst wird, die spezifisch landwirtschaft- 
lichen Bedürfnisse nicht genügend gekannt und gewürdigt hat. Dies tritt am meisten in dem gelten- 
den Erbrecht zutage, welches noch viel schädlicher gewirkt haben würde, wenn sich nicht nament- 
lich die Bauern durch zähes Festhalten an alten Erbsitten gegen solche Einflüsse gewehrt hätten. 
Wo die wirtschaftlichen Verhältnisse eine Erbfolge in den ungeteilten Besitz als die zweckmässigste 
erscheinen lassen, muss notwendig eine bedeutende Bevorzugung des Erbübernehmers gesetzlich 
statuiert werden, wenn man eine unheilbare Verschuldung verhindern will, eine Teilung der Grund- 
stücke unter alle Erben in gleichen Portionen ist nur da unschädlich, wo geschlossene Höfe nicht 
existieren, Parzellenbesitz vorherrscht und der Entstehung von Zweigwirtschaften dadurch vor- 
gebeugt ist, dass der Bevölkerung noch andere Arbeits- und Verdienstquellen reichlich zu Gebote 
stehen. Hand in Hand mit einem geeigneten Erbrecht muss eine energische Inangriffnahme der Ent- 
schuldung gehen. Dieselbe ist bei nicht sehr überschuldetem Besitz durch Eröffnung billiger Kredit- 
quellen in staatlichen Instituten dadurch möglich, dass die Zinsquote, die gegenüber dem höheren 
Zinssatz für Nachhypotheken durch den billigen Institutskredit erspart wird, zur Amortisation 
verwendet werden kann. Bis jetzt haben die hierhin gehenden Versuche noch keine grossen Erfolge 
gehabt, denn da mit einer solchen Aktion, wenn sie dauernden Erfolg haben soll, notwendig die 
Eintragung einer Verschuldungsbeschränkung verbunden sein muss und eine solche Verschuldungs- 
grenze die Verkaufsmöglichkeit und damit den Verkaufswert der betr. Güter drückt, so ist eine 
solche Massregel bei den Landwirten, die ihre Güter als Spekulationsobjekt und nicht als dauernden 
Familienbesitz betrachten, nicht sehr beliebt; und doch können nur Eigentumsbeschränkungen 
dieser und ähnlicher Art der Landwirtschaft dauernd helfen, indem sie das Problem der Lösun: 
näher bringen. die Renten zu erhöhen und die Gutspreise niedrig zu halten. Solche Beschränkungen 
des Realkredits könnten auch schädlich wirken, wenn daneben nicht ein ausgedehntes System von 
genossenschaftlichen Instituten für den Personalkredit und genügend Landeskulturrentenbanken 
mit Vorzugsrechten vor sonstigen Hypotheken bestehen, um die Vornahme nötiger Meliorationen 
unter allen Umständen zu sichern. Zu erwägen bleibt daneben, ob man für ländlichen Besitz die 
Privathypotheken ganz aufheben und nur noch den mit Amortisationszwang verbundenen In- 
stitutskredit für statthaft erklären solle. Das überwiegende Interesse des Staates an der vollen 
Ausnutzung seiner Bodenfläche bedingt ausserdem noch reichliche Staatsunterstützungen für 
alle grösseren Flusskorrekturen und sonstige Meliorationen, speziell Urbarmachungen von Moor- und 
Ödländereien, welche die Kräfte der einzelnen Interessenten übersteigen. In viel verstärkterem Mass
	        
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