Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Ludwig Stephinger, Die Landwirtschaft mit ihren Nebengewerben. 367 
Grossbetrieb begründet. Die derzeitigen Verhältnisse bei der Landwirtschaft sind allerdings zur Zeit 
auch durch die Landflucht beeinflusst; während 1871 noch 63,9 %, des ganzen deutschen Volkes 
in Gemeinden unter 2000 Einwohnern und nur 12,5 %, in grösseren Städten über 20000 E. 
lebten, wohnten 1905 in den grösseren Städten 31,85%, in Gemeinden unter 2000 E. 42,58 %.. 
Von den 17681176 landwirtschaftlichen Berufsangehörigen befanden sich auf dem platten 
Lande d. h. in Gemeinden bis zu 2000 Einwohnern 15 088 883, in solchen bis 100000 Ein- 
wohnern: 2452 219, in Gemeinden über 100 000 Einwohnern: 140 074. 
Den Bedarf an menschlichen Arbeitskräften hat die Wanderausstellung der deutschen Land- 
wirtschaftsgesellschaft 1910 in einer Statistik veranschaulicht, welche die drei Wirtschaftsjahre 1906/7, 
1907/8 und 1908/9 sowie je 5 typische Betriebe jeder Betriebsart zugrunde legt und den Bedarf der 
Betriebsarten nach Männersommertagen zur Darstellung bringt; der Frauensommertag wurde dabei 
zu 2/,, der Kindersommertag zu %, der Männer- und Knechte-Wintertag zu ®/, und der Frauen- 
Wintertag zu f/,, der Kinderwintertag zu ?/, des Männersommertags angesetzt. Bei den Rüben- 
wirtschaften mit durchschnittlich 30,5 % Hackfruchtbau ergeben sich danach 41,85 Männersommer- 
tage als nötig, bei den Brennereiwirtschaften mit durchschnittlich 29,6 %, Hackfruchtbau (Kartoffel- 
bau) 32,29, bei Körnerwirtschaften mit durchschnittlich 60% Halmfruchtbau 34,78 und bei Vieh- 
wirtschaften mit durchschnittlich 27,5%, feldmässigem Futterbau 22,90. " 
Dieser Bedarf ist auch verschieden nach der Betriebsgrösse. Nach der Betriebsstatistik in 
Preussen erfordert je ein Hektar an menschlicher Arbeitskraft: 
in Betrieben von 2—5 ha 0,877 in Betrieben von 20—100 ha 0,208 
520 „ 0,434 100 und mebr „, 0,175 
Bei dem durch die Landflucht bedingten Abnehmen der landwirtschaftlichen Berufszuge- 
hörigen, das aus obigen Zahlen erhellt, musste nun dieser Bedarf an menschlichen Arbeitskräften in 
steigendem Masse, so weit irgend möglich, in anderer Weise gedeckt werden. Denn nicht nur die auf 
dem Lande ansässigen Arbeitskräfte wandern ab, sondern auch das Gesinde nimmt ab; nach Er- 
hebungen in Ostpreussen im Jahre 1900/01 begann der Mangel an Arbeitskräften in Betrieben 
über 7 ha fühlbar zu werden. Bei Betrieben von 7—9 ha wurde der Mangel bereits auf 12,5 % des 
Bedarfs angegeben, bei Betrieben von 10—13 ha; 16 %, 14—20 ha: 23 %, 21—28 ha: 29 %. Von 
dieser Betriebsgrösse an nimmt der Arbeitermangel ab, beträgt bei den Betrieben von 100—150 ha 
nur mehr 16, bei solchen über 1000 ha nur noch 10 % des Bedarfes. Das Gesinde ist von 1 718 885 
im Jahre 1895 auf 1332 717 im Jahre 1907 zurückgegangen, wobei am stärksten die Zahl der 
Knechte zurückging, im Jahre 1910 um 361 558, während die Zahl der Mägde nur um 25 610 ge- 
sunken ist. Dafür hat die Zahl der erwerbstätigen Angehörigen etwas zugenommen; selbstver- 
ständlich nimmt mit der Grösse des Betriebes die Zahl der erwerbstätigen Familienangehörigen ab. 
Daneben mussten in steigendem Masse ausländische Wanderarbeiter zugezogen werden. 
Aus einer Statistik der D. L. G. lassen sich folgende Zahlen zusammenstellen: 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
Die Einwanderung von' un. . Elan In. 'Übr. Österr.-Ungarn' 
Arbeitern betrug aus: | Russland | Galizien | Italien | Niederlande ‚Dänemark, u. andere Staaten  Summa 
in die | Zabl 215491 | 107456 46 7593 2947 13 059 346 592 
Landwirtschaft | % | 4 67,6 0,1 16,3 39,9 . 11,9 ı 57,6 
> . [Zahl! 23015 | 51518 40747 3894 ı 4445 96 528 ' 255 197 
in die Industrie | % 9,6 32,4 2 | 8377 601 88,1 RL! 
Summe 238506 | 158974 | 4079 | 46637 | 7392 | 109 587 601 789 
Davon entfallen auf die Landwirtschaft: 
in Preussen ‚ 169733 ı 95886 45 7419 2946 _ 12 231 | 288 260 
in Süddeutschland 2184| 1065| — 0 — 1 | 30 | 3269 
im übrigen Deutschland , 43 574 10 525 | ı ; 174 | N 798 55 073 
Summa 215491 | 107456 | 46 | 7598 | 2947 13 059 346 592 
Industrie: 
in Preussen 17649 | 44657 : 39546 3827 i 4373 , 94 269 1 238 711 
in Süddeutschland : 118 180 512 I ı — 
im übr. Deutschland 5 248 6 681 689 718 12 | 2191 | 15 699 
Summa | 23016 | 51518 | 4747 | 28944 5444 96 528 | 265 197 
 
	        
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