493 Julius Pierstorff, Handwerk und Kleingewerbe.
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das Land, während Vorherrschaft des Parzellenbetriebes die ländliche Bevölkerung verkümmern
lässt. Bauerntum, insbesondere Mittel- und Kleinbauerntum, bewirkt dagegen nicht nur intensivere
Bodenkultur und erleichtert die Lösung der schwierigen ländlichen Arbeiterfrage, sondern bietet
auch dem Gewerbe und Handel in den Städten günstige Entwickelungsmöglichkeit Aus solchen
Gründen ist eine kräftige und nachhaltige innere Kolonisation in den Gebieten vorherrschenden
Grossgrundbesitzes, im Osten, geradezu eine Lebensfrage für Deutschland. Doch kann sie nur
durch tiefgreifende Mitwirkung des Staates ausreichende Erfolge erzielen. Denn dieselben aus der
Natur des landwirtschaftlichen Betriebes fliessenden Ursachen, welche dem Bauernstande die
Selbstbehauptung erleichtern, erschweren ihm die selbsttätige Ausbreitung.
Ganz anders wie in der Landwirtschaft liegen die Verhältnisse im Gewerbe und Handel
wegen der völlig abweichenden Natur ihrer wirtschaftlichen Grundlagen.
Auf dem Gebiete des Gewerbewesens führten im Lauf des 19. Jahrhunderts die Entwicklung
des Maschinenwesens, auch der technischen Chemie und andere produktionstechnische Neuerungen,
im Zusammenhange mit dem Aufkommen der Eisenbahnen und der Dampfschiffahrt eine völlige
Revolution der Produktions- und Absatzverhältnisse herbei. Es entwickelte sich die moderne Gross-
industrie mit weitgehender Arbeitsteilung, Maschinenverwendung und Spezialisierung mit'Massen-
fabrikation, Betriebskonzentration und Fernabsatz. Hand in Hand damit ging die zunehmende Kon-
zentration der Bevölkerung, vornehmlich in den Städten, Erweiterung und Durchbrechung der
Lokalmärkte.
Wurden auf diese Weise der überlieferte, auf Lokalabsatz und Kundenproduktion basierte
Handwerksbetrieb und die handwerksmässig betriebene Verlagsindustrie in ihren Grundlagen
erschüttert und in wachsendem Umfange zurückgedrängt, so ging doch diese Umwälzung nicht so
weit, das gesamte Handwerk zu vernichten. Vielmehr ist Grad und Art, in denen die einzelnen
Berufs- und Produktionszweige von ihr berührt wurden, ausserordentlich verschieden.
Während einige Zweige ganz verdrängt wurden oder im Begriffe stehen verdrängt zu werden, —
bisweilen sogar nur durch Bedarfsänderungen — erfuhren andere nur eine Schmälerung oder Wand-
lung ihres Arbeitsgebietes. In manchen Zweigen auch geriet das Handwerk, namentlich in den
Grossstädten, in Abhängigkeit vom Handel und vom Magazin, ohne dass dies überall durch die
Produktionstechnik bedingt gewesen wäre. Andererseits hat es sich weithin in Konkurrenz mit
der Grossindustrie und dem Magazin behauptet und in Qualitätsarbeit Ersatz gefunden oder
sich einem ihm verwandten Handelsbetrieb angegliedert, dem oft die Reparaturarbeiten eine starke
Stütze bieten. Schliesslich hat es in den mittleren und kleineren Städten, sowie auf dem Lande,
viel von dem wieder gewonnen, was es in den Grossstädten verlor.
Allen diesen Verlusten und Verschiebungen steht aber vor allem die Tatsache gegenüber,
dass eine grosse Reihe wichtiger und bedeutender Handwerkszweige von den Wandlungen der
modernen Zeit gar nicht oder nur unwesentlich berührt wurden, viele von ihnen infolge des Be-
völkerungswachstums und des gestiegenen Wohlstandes sogar ausserordentlich emporgeblüht sind.
Zu diesen Zweigen gehören die Nahrungsmittelgewerbe, insbesondere Fleischerei und Bäckerei, die
Mehrzahl der Baugewerbe, die Ausrüstungs- und Wohnung tattungsgewerbe, die Buch-
druckereien. Ausserdem sind ganz neue mittelständische Gewerbszweige entstanden, auf Grund
neuen Bedarfs und neuer Technik, z. B. das Photographengewerbe, Installationsgewerbe usw.
Einen allgemeinen Rückgang und eine allgemeine Notlage des Handwerks und des Kleingewerbes
besteht sonach nicht. Produktionsverschiebungen aber hat es zu allen Zeiten gegeben, wenn auch
keine der früheren an diese neueste der Grösse und dem Umfange nach heranreichten.
Da eine Rückbildung oder auch nur eine Sistierung des durch die moderne Technik der
Produktion und des Verkehrs bedingten Umwandlungsprozesses ausgeschlossen ist, kann die Auf-
gabe einer gesunden Mittelstandspolitik auf dem Gebiete des Handwerks und des Kleingewerbes
nur sein, die Anpassung an die veränderten Verhältnisse zu erleichtern und zu befördern. Dies ist
weniger durch eine Belebung des Innungswesens, als durch staatliche und kommunale Ausbildung
des Fortbildungs- und Fachschulwesens, das ja zugleich dem gesamten Gewerbewesen zugut kommt.
Dabei ist mehr als sonst, das Augenmerk auf eine kaufmännische Schulung zu richten, weil
technisches Können nur in Verbindung mit der nötigen geschäftlichen Umsicht dem Handwerk