Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

Julius Pierstorff, Handwerk und Kleingewerbe. 423 
  
und Kleingewerbe, wenn sonst die Bedingungen lebensfähiger Forschung für sie erfüllt sind, zu 
erfolgreicher Selbstbehauptung befähigt angesichts der höheren Anforderungen, welche die Gegen- 
wart an die Geschäftstüchtigkeit stellt. Eine weitere Stütze bietet ein entwickeltes Genossen- 
schaftswesen. Doch besitzen hier nur die Kreditgenossenschaften grössere und allgemeine 
Bedeutung, während den übrigen Genossenschaftsarten auf dem gewerblichen Gebiete im Unter- 
schied vom landwirtschaftlichen, aus Ursachen, welche in der Natur der gewerblichen Produktion 
liegen, nur eine ganz beschränkte und nebensächliche Bedeutung zukommt, was durch die geringen 
äusseren Erfolge belegt wird. 
Dem Zuge der gesamten gewerblichen Entwicklung entsprechend zeigen die meisten 
Handwerksbetriebe eine Tendenz zur Vergrösserung, indem die Zahl der Alleinbetriebe abnimmt, 
die Zahl der Gehilfenbetriebe, wie ihr Einzelumfang, wächst. Wie das ein Beweis innerer Kräfti- 
gung ist, so ist es zugleich ein Zeichen dafür, dass die Entwicklung sich von dem überlieferten 
mittelständischen Ideal langsam entfernt, wonach den Hilfskräften die spätere Selbständigkeit 
allgemein erreichbar sein soll. 
Das dritte Hauptglied des alten Mittelstandes bilden die Kreise der mittleren und 
kleinen Kaufleute und Händler im Kleinhandel, der den unmittelbaren Absatz an 
den Verbraucher betreibt, wie im Grosshandel, der zwischen Produktion und Kleinhandel sich 
als Zwischenglied einschiebt. . 
Das oben charakterisierte \esen der modernen Wirtschaftsentwicklung bringt es mit sich, 
dass der Handel eine früher nicht geahnte Ausbreitung erlangte. Beschäftigt er auch absolut weniger 
Personen als Landwirtschaft und Industrie, so überflügelte doch sein Wachstum bei weitem selbst 
die rapide Zunnahme der industriellen Bevölkerung bei uns. Dabei darf man annehmen dass */ıo 
der am Handel beteiligten Personen auf den Detailhandel entfallen. 1882—1907 wuchs in Deutsch- 
land die Zahl aller Handelsbetriebe von 617 000 auf 1 088 000, die der Hauptbetriebe allein von 
453 000 auf 842 000. Die Betriebspersonen vermehrten sich von 838 000 auf 2 064 000, also um 
das ll,fache, während die Gesamtbevölkerung nur um etwa mehr als 4, zunahm. #/, der Be- 
triebe entfällt während der ganzen Periode auf die Allein- und Kleinbetriebe (1—5 Personen). Trotz 
stärkeren Wachstums der Mittel- und Grossbetriebe (6—50 und über 50 Personen) waren 1907 in 
jenen doch noch doppelt so viel Personen beschäftigt, als in diesen. Danach behauptet der Handel 
vorwiegend mittelständischen Charakter. 
Immerhin bekundete sich auch im Handel, wie in Industrie und Gewerbe, mit seiner wach- 
senden Ausbreitung zugleich die Tendenz zur Erweiterung und Konzentration der Einzelbetriebe, 
weil auch hier der grössere Betrieb in der Regel billiger arbeitet und leistungsfähiger ist als der 
kleinere. Hand in Hand mit der Betriebserweiterung ging vielfach eine zunehmende Spezialisierung 
und die Ausschaltung von Zwischengliedern zwischen Produzenten und Detailverkäufern. Diese 
Ausschaltung nutzten vor allem die aufkommenden Basare und Grossmagazine aus, welche gang- 
bare, leicht und sicher verkäufliche Artikel verschiedener Gattung in grossen Partien direkt von 
den Produzenten beziehen und zu mässigen Preisen ausbieten. Die geführten Qualitäten richten 
sich dabei nach den Bedürfnissen und der Zahlungsfähigkeit des Kundenkreises, auf den sie rechnen. 
Den Basaren reihen sich weiter die Warenhäuser an, welche zugleich durch die grosse Mannig- 
faltigkeit der geführten Waren charakterisiert sind, ihren Schwerpunkt aber meist in der Manufak- 
tur- und Bekleidungsbranche sowie in der Konfektion haben. 
Aber so mannigfaltig diese Betriebsgattungen sein und so sehr ihre Grenzlinien verschwimmen 
mögen, gemeinsam ist ihnen allen zumeist, dasssie Grossbetriebesind. Mit ihrer rationellen 
und dadurch überlegenen Betriebsökonomie verbinden sie andere Vorteile, besonders denjenigen 
des schnellen Kapitalumsatzes, welcher ermöglicht, sich mit geringeren Einzelwaren zu begnügen. 
Denn sie alle befolgen mit Strenge den Grundsatz der Barzahlung, der überdies die kostspielige 
Führung von Kunden-Konti und Einziehung von Kundenschulden vollkommen ausschliesst. Die 
durch den Geschäftsumfang bedingte Rationalität der Betriebsorganisation wirkt analog wie 
in der Industrie Maschine und Arbeitsteilung. 
Wie durch diese kapitalistischen Grossbetriebe, wurde andererseits durch die Ausbreitung der 
auf nichtkapitalistischer Grundlage erwachsenden Konsumvereine der weiteren Ausbreitung des
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.