Full text: Handbuch der Politik. Zweiter Band. (2)

F. W. R. Zimmermann, Gerechtigkeit ku der Steuerverteilung. 79 
  
der historisch überkommenen Verhältnisse. Dass man in die Lage kommen 
sollte, ein Steuersystem für eine einzelne Steuergewalt oder gar für sämtliche Steuergewalten eines 
Staatswesens unter Überbordwerfung der gesamten früheren Besteuerung von Grund aus neu zu 
bilden, dürfte auserschlossen erscheinen, obgleich eine derartige Steuersystembildung für die Durch- 
führung einer gerechten Steuerverteilung weitaus das Einfachste und Günstigste sein würde. Gerade 
in der Besteuerung wird man grundsätzlich das Überkommene und von altersher Bestehende 
besonders zu achten haben, wenn man nicht weitgehende Schwierigkeiten und eventuell auch 
Missstände zeitigen will; es kommt hier der in einer entsprechenden Beschränkung immerhin 
als zutreffend anzuerkennende Satz, dass jede alte Steuer besser sei als eine neue, zur Geltung. 
Alle Änderuncen im Steuersystem, welche sich mit der Entwicklung der rechtlichen, wirt- 
schaftlichen und sozialen Verhältnisse behufs Beibehaltung bezw. Durchführung des Prinzips der 
gerechten Steuerverteilung vermöge der historischen Relativität des letzteren notwendig vollziehen 
müssen, werden sich regelmässig auf der bisherigen Besteuerung, diese tunlichst aber jedenfalls bis zu 
einem gewissen Grade schonend, aufzubauen haben. Dass hierdurch bei dem Mangel der Einheit- 
lichkeit und der Unmöglichkeit, das historisch zu Übernehmende den Verhältnissen der Gegenwart 
in allen Einzelheiten und mit der gleichen Vollkommenbheit wie eine Neubildung anzupassen, grössere 
Schwierigkeiten für die Durchführung unseres Prinzips erwachsen müssen, ja dass dieselbe dadurch 
nach einzelnen Richtungen hin sogar beeinträchtigt werden kann, braucht kaum näher nachge- 
wiesen zu werden. Die Schwierigkeiten und Beeinträchtigungen werden natürlich um so grösser, 
je verschiedener die Kulturepochen, welche die Umgestaltung des Steuersystems bedingen, sich 
voneinander abheben. Unter Umständen wird man sich damit helfen können, die Umgestaltung 
nach und nach in gewissen Zwischenräumen und dann insgesamt um so einschneidender zu voll- 
ziehen; dem steht allerdings wieder entgegen, dass grundsätzlich gesetzliche Eingriffe in die 
bestehende Besteuerung so wenig wie möglich vorgenommen werden sollen. Nach der ungünstigen 
Seite verschärfend muss endlich noch der Umstand einwirken, dass durch die vermöge der 
kulturellen Weiterentwicklung notwendigen Umgestaltungen der Besteuerung die Steuersysteme 
alle der einzelnen Steuergewalten des Staatswesens gleichzeitig teils schon an und für sich teils 
durch ihren gegenseitigen Zusammenhang unter einander berührt werden. 
9. Verhältnis der obersten Steuerprinzipien zu einander. 
Bislang sind die in der Hauptsache mehr äusserlichen Momente für die Bildung des 
Steuersystems unter dem Gesichtspunkte des gerechten Steuerverteilungsprinzips erörtert; dabei 
ist davon ausgegangen, dass das uns hier interessierende Prinzip der Gerechtigkeit in der Steuer- 
verteilung in den Steuersystemen der Steuergewalten, allein und zusammengefasst, und eventuell 
auch in den einzelnen Steuerarten durch eine möglichst weitgehende Beobachtung der obersten 
Steuergrundsätze, welche wir in den Anfang gestellt hatten, zum Durchbruch gebracht werden 
müsste. Die obersten Steuerprinzipien werden aber weder an und für sich noch 
für unsere besondere Frage untersichals gleichwertige zu erachten sein, etenmässig sind sie 
nicht derart, dass sie überall neben einander, wenn auch nur mehr oder weniger weitgehend, zur An- 
wendung kommen könnten; es treten vielmehr in ihnen oder wenigstens in einzelnen von ihnen immer- 
hin gewisse innere Gegensätze zur Erscheinung, welche, wenngleich nur in Einzelbeziehungen, eine 
entgegengesetzte Stellung und ein gegenseitiges Ausschliessen bedingen. Wie hierdurch unsere 
Frage, die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung, näher berührt werden muss, wie mithin die einzelnen 
obersten Steuerprinzipien für diese Frage in besonderer Weise zu bewerten und eventuell gegen- 
einander in ihren Einzelbeziehungen abzuwägen sind, werden wir nunmehr darzulegen haben; wir 
müssen uns aber auch hier wieder auf die grossen Grundzüge beschränken ohne auf die viel- 
fachen Einzelbeziehungen, welche für die verschiedenen Steuerarten in Betracht kommen 
können, näher einzugehen. 
Die finanzpolitischen Prinzipien und die Steuerverwaltungs- 
prinzipien wollen wir in eins zusammenfassen und vorwegstellen. Obwohl diese Prinzipien 
stets die notwendige Voraussetzung für eine gute Besteuerung und in letzterer auch für die
	        
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