18 Adolf Günther, Streik, Aussperrung und Boykott.
für die Samstage den neunstündigen seit 1905, Österreich den elfstündigen seit 1885, Frankreich
den zehnstündigen seit 1904 für Jugendliche, Frauen und solche Männer, dıe mit jenen zusammen-
arbeiten. Für den Kohlenbergbau haben Grossbritannıen und Frankreich den achtstündigen,
Österreich und Belgien den neunstündigen Arbeitstag eingeführt.
66. Abschnitt.
Streik, Aussperrung und Boykott.
Von
Dr. Adoli Gunther,
Privatdozent an der Universität Berlin.
Schriften des Vereins f. Sozialpolitik Bd. 45. — Einschlägige Artikel im Handwörterbuch d. Staatswiss.
u. im Wörterbuch der Volkswirtschaft. — Statistik des deutschen Reichs, zuletzt Bd. 249. — Korrespondenz-
blatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands. — Günther, Gewerbefreiheit und Gewerbe-
zwang in der Rechtsprechung des Reichsgerichts, Annalen d. deutschen Reichs, 1907, Nr. 5. — Zimmermann,
Streikverhütung, Preuss. Jahrbücher. — v. Schulze-Gävernitz, Vermeidung und Beilegung von Arbeitsstreitig-
keiten in England, Jahrb. f. Ges. Verw., Bd. 13. — Mataja, Die Statistik der Arbeitseinstellungen, Jahrb.
f. Nat. u. Statistik 3. Folge, Bd. 13. — Schriften der Ges. f. soziale Reform passim: u. a. Vortrag des
Staatsministers v. Berlepsch über das Reichseinigungsamt. — Die Lohnbewegungen (im weitesten Sinne)
finden ständige Registrierung und Besprechung im Reichs-Arbeitsblatt und in der Sozialen Praxis. —
Statistisches Jahrbuch für das deutsche Reich, 1913. — Reichs-Arbeitsblatt.
Die ungeheuren Arbeitskämpfe der Gegenwart sind durch verschiedene Umstände bedingt:
durch eine Gesetzgebung einmal, die, wenn nicht ein Koalitionsrecht, so doch die Freiheit geschaffen
hat, sich zum Zwecke der Erlangung günstigerer Arbeitsbedingungen oder zur Aufrechterhaltung
bestehender zu koalieren; eine Wirtschaftsverfassung weiter, in der dıe Solidarität der Arbeitgeber
wie der Arbeitnehmer festbegründet und zur Organisation im grossen Stil fortgeschritten ist. Und
schliesslich auch eine Volkswirtschaft, dıe sich den Luxus grosser Erschütterungen leisten kann,
ohne zu grunde zu gehen.
Die Wirtschaftsgeschichte früherer Zeiten weist Parallelerscheinungen nur, was degrund-
sätzliche Seite des Kampfes,‘ nicht was seine Ausdehnung anlangt, nach. Das
Italienische, englische und deutsche Zunftwesen sowie wohl auch das der meisten anderen Länder
(über die wir nicht gleich eingehend informiert sind) kannte zum Zweck der Erlangung besserer
Arbeitsbedingungen „Aufstände “der Gesellen, die oft blutig unterdrückt wurden, sie nahmen
in dem Masse zu, als die alte Zunftordnung, die dem einzelnen Gesellen Garantien, einmal selbst
Meister zu werden, geboten hatte, den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr
stand hielt, als ein selbständiger Gesellenstand erwuchs, der damit rechnen musste, zeitlebens ab-
hängig zu bleiben.
Von besonderer Bedeutung insbesondere für die Gesetzgebung wurde der berühmte ‚‚Auf-
stand‘ der Augsburger Schuhknechte von 1726, als dessen Folge ein Reichstagsbeschluss von
1731 diesen und anderen ‚„Handwerksmissbräuchen“ zu steuern versuchte. Schon vorher (so 1559,
1566, 1571, 1594 und insbesondere 1672) hatte man das Verhältnis zwischen Meister und Gesellen
zu regeln, Streik, Kontraktbruch, Boykott durch schwere Ahndung zu beseititgen versucht. Eben-