II Willibald Stavenhagen, Das Deutsche Volksheer.
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Zur Erhöhung der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit gewinnt neben einer zweckmässigen
Lebensführung die Pflege einerrationellen Körperkultur immer höhere Bedeutung. Neben Turnen,
Fechten, Schiessen, Reiten (besonders auch im Gelände und bei Nacht in unbekannter Gegend, um das Zurecht-
finden zu lernen), Schwimmen als besonderen Übungszweigen wird heute auch einem massvollen Sport, der Jagd
und körperlichen Spielen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, zumal ja auch die Charakterbildung unter dem
Einfluss körperlicher Ertüchtigung steht.
Die durch vielfache Mittel erzielte taktische Ausbildung, die vor allem einfache Formen”)
gegenüber der heutigen mörderischen Feuerwirkung anstrebt, ruht zunächst beem Regimentskomman-
deur. Im praktischen Dienst wird der Offizier vor bestimmte Aufgaben gestellt, die sein taktisches Verständnis
schärfen, ihm Anlass zu selbständigen Entschlüssen und Handlungen geben und ihn in der Beherrschung der
Truppe schulen. Eine weitere Vertiefung dieser Ausbildung und die Förderung der geistigen Entwicklung über-
haupt geschieht durch Kriegsspiele, theoretische taktische Aufgaben, Wiınterarbeiten, Vorträge ım Offizierkorps
und in militärischen Gesellschaften, Übungsritte, Ubungsreisen unter Heranziehung von Offizieren aller Waffen,
Generalstabs- und Festungsgeneralstabsreisen, ebenso durch Selbststudium der Kriegsgeschichte, unserer vor-
nehmjsten militärischen Lehrmeisterin, be:onders zur Bildung des Urteils und Unterscheidung des Kriegsgemässen
von dem nur im Frielen Möglichen, sowie zum Erkennen der Macht der Persönlichkeit. Hierzu kommen Er-
werbung der Fertigkeit in fremden Sprachen, Gewandtheit in Anfertigung von Skizzen und die zahlreichen Kom-
mandos zu anderen Waffen, Behörden, Lehr- und anderen militärischen Anstalten. Ausser der Militärtechnischen
Akademie für die Spezialwaffen sei hier besonders die Kriegsakademie hervorgehoben, die Offizieren aller Waffen
eine militärische Hochschulbildung erteilen und besonders auch die künftigen Generalstabsoffiziere heranbilden
soll. Leider reichen die beiden Akademien, die preussische (1912 wurden von 754 geprüften Offizieren 160 eın-
berufen) und die bayerische (wo 19 Offiziere einberufen wurden) lange nicht mehr aus, um das Bildungsbedürfnis
zu stillen, und in Anbetracht der grossen Erhöhung der Zahl der Offiziere bedarf es einer Vermehrung dieser
Institute und gleichzeitiger Verteilung auf andere Provinzen. Ob die heutige militärwissenschaftliche (wıe all-
gemeine) Bildung unseres Offizierkorps bei den gesteigerten Anforderungen der Zeit und der Erhöhung des all-
gemeinen Bildungsniveaus noch ausreicht, zumal die vielseitige praktische Tätigkeit die Zeit zu kriegswissenschaft-
licher Arbeit immer mehr einschränkt, darüber bestehen vielfach Zweıfel in der Armee und bei ihren
Freunden. Es gibt leider eine Richtung im Heere, die das Studium der Theorie des Krieges, das zur
Heranbildung nicht nur höherer Führer, sondern auch des im gesamten Offizierkorps nötigen Verständnisses
für die höhere Führung, die ‚‚Imperatorik‘“ und ‚,‚Strategie‘‘, unerlässlich ist, für überflüssig hält. Ebenso wie
die Erweiterung des Gesichtskreises auf anderen, nicht rein militärischen, aber zur Erziehung- und Fürsorge der
Truppe erforderlichen Gebieten. Sie vergisst Willisens Wort, dass vom Wissen zum Können der Schritt kleiner
ist als vom Nichtwissen, und übersieht auch, dass zur Behauptung der sozialen Stellung des Offiziers seine Fühlung
mit dem Wissen und den Interessen der Nation unerlässlich ist. Zuzugeben ist, dass, da die Truppenführung eine
Kunst ist, sie nur bis zu einem gewissen Grade erlernt werden kann, im übrigen angeborene Talente erfordert.
Aber nur auf der Grundlage der Theorie kann sich die Tat lebendig ergehen, die Wissenschaft ist keine Gefahr,
auch wenn sie die vielfach gefürchtete ‚‚Kritik‘ schärft!
Militärisch wichtig ist auch die grossartige Organisation der Vereine vom Roten Kreuz
(850 000 Mitglieder). Ihr gehörten 1912 allein 1941 Sanitätskolonnen mit 44508 Köpfen an. Hierzu kommt
eine freiwillige weibliche Krankenpflege.
Krankenpflegerinnen (in Mutter- und Töchterhäusern, in denen 4000 Rote Kreuz-Schwestern und 1800
Hilfsschwestern tätig sind, während der Krieg etwa 15 000 Schwestern erfordern dürfte). Ferner seien dıe zahl-
reichen Kriegs- und Veteranenwvereine (besonders der deutsche Kriegerbund und der Kyffhäuser-
verband), der deutsche Turnverein (über 1 Million Mitglieder), dr Jungdeutschlandbund für
die Jugendpflege und der sehr rührige Deutsche Wehrverein in diesem Zusammenhang erwähnt.
Angeregt ist de allgemeine Dienstpflicht der Frau zu der Ausbildung in der Krankenpflege
und wichtiger häuslicher Tätigkeit.
it. Entlassung und Versorgung.
Das Entlassungswesen regelt die Heerordnung. Dispositionsbeurlaubungen vor beendeter
Dienstpflicht (bei der Kavallerie und reitenden Artillerie) sind nur ganz ausnahmsweise zulässig. Jeder Soldat
tritt zum Beurlaubtenstand seiner Waffe zurück, während Einjährigfreiwillige auch zu anderen Wäffen nach der
Verfügung der Generalkommandos und obersten Waffenbehörden überführt werden können. Alle aus dem aktıven
Dienst zu entlassenden Leute werden ärztlich untersucht, ebenso auf die Wahrung des Dienstgeheimnisses hın-
gewiesen. Die Offiziere treten entweder zum Beurlaubtenstande über oder in die Gendarmerie, die Invaliden-
häuser oder werden (mit und ohne Uniform und Pension) verabschiedet, freiwillig oder unfreiwillig, zuweilen mit
Charaktererhöhung. Es gibt Offiziere a. D. (mit vollen Staatsbürgerrechten, nur, sofern sie Uniform tragen, den
Ehrengerichten unterstellt) und solche z. D. (sie unterstehen den Militär- und den Ehrengerichten und werden
auch bisweilen in inaktiven Heeresstellen verwendet). Die Aussicht auf Wiederanstellung im Heere wird grund-
sätzlich nicht erteilt. Ausgemusterte Soldatenpferde werden durch Verkaufskommissionen veräussert.
Die Versorgung der Offiziere, Militärbeamten und Mannschaften geschieht durch Pension (Gesetze
vom 31. V. 06 sowie Pensionsvorschrift vom 16. III. 12) und durch Anstellung im Zivildienst, in der Gendarmerie,
32) Über die Bewegungs- und Gefechtsformen, sowie die Grundsätze der Kriegsgliederung muss der Offizier,
in erhöhtem Masse der Kavallerie-Offizier, auch bei den Nachbararmeen unterrichtet sein. Die Taktik muss
noch mehr psychologisch gehandhabt werden, als es heute der Fall ist.