Paul Wölbling, Der Tarifvertrag. 97
$ 11. Tarifverträge und andere Vereinbarungen mit Gesamtheiten von Arbeitgebern oder
Arbeitern über deren allgemeine Beziehungen zueinander bedürfen der Schriftform, wenn sie nicht
vor dem Einigungsamte, insbesondere durch Unterwerfung unter einen Schiedsspruch, zustande
gekommen sind.
$ 12. Tarifabkommen mit nicht organisierten Gesamtheiten bedürfen der alljährlich zu wieder-
holenden Genehmigung des Gewerbe- oder Kaufmannsgerichts. — Der Vorsitzende des Gewerbe-
oder Kaufmannsgerichts kann die Ordnungsmässigkeit der Wahl der Vertreter durch einen von ihm
beauftragten Beamten feststellen lassen. Dieser ist berechtigt an den Wahlversammlungen teilzu-
nehmen.
$ 13. Die Parteien sind berechtigt und auf Erfordern verpflichtet, den Tarıfvertrag beim
Gewerbe- oder Kaufmannsgericht niederzulegen. Sie können dazu durch Ordnungsstrafen bis 5000
Mark angehalten werden.
$ 14. Tarifverträge von unbestimmter Dauer sind zum Ablauf des ersten, solche von mehr
als fünfjähriger Dauer zum Ablauf des fünften Jahres kündbar. Die Kündigungsfrist beträgt sechs
Monate. — Die Kündigung erfolgt an das Gewerbe- oder Kaufmannsgericht und ist durch diese der
Gegenpartei mitzuteilen. — Für Mitglieder eines Berufsvereins steht nur diesem das Kündigungs-
recht zu.
$ 15. Die Organe der Tarifgemeinschaft werden unter Leitung des Gewerbe- oder Kaufmanns-
gerichts gewählt und, wenn eine Wahl nicht zustande kommt, von diesen ernannt.
$ 16. Die Parteien können allgemein die Entscheidung von Streitigkeiten aus Dienstverträgen
an Schiedsgerichte übertragen.
$ 17. Die Entscheidungen der Tarifschiedsgerichte sind rechtskräftig, wenn nicht binnen einer
Notfrist von zwei Wochen die gerichtliche Klage erhoben wird.
$ 18. Die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte sind für Klagen aus dem Tarıfvertrage zuständig.
Die Berufung geht an das Oberlandesgericht, wenn der Beschwerdegegenstand 2500 Mark übersteigt."')
$ 19. Gewerbliche Kampfmittel zwischen den Parteien sind mangels anderer Vereinbarung
nur zulässig, um eine im Verzuge befindliche Partei zur Erfüllung anzuhalten.
$ 20. Das Prozessgericht erster Instanz kann nötigenfalls zwecks Vollstreckung einer Forde-
rung aus dem Tarifvertrag nach Anhörung des Schuldners erkennen: 1. dass der Schuldner von der
Übernahme von Lieferungen für das Reich, einen Bundesstaat oder Gemeindeverband oder der
Arbeit für diese ausgeschlossen wird ; 2. dass eine Versammlung bei Vermeidung der Auflösung nıcht
über ein Kampfmittel gegen den Gläubiger beraten oder beschliessen darf; 3. dass der Schuldner
unbeschadet seiner Verpflichtungen aus einem Berufsverein ausgeschlossen wird; 4. dass ein Berufs-
verein aufgelöst wird, wenn er, ohne dazu ausserstande zu sein, der vollstreckbaren Forderung binnen
angemessener Frist nicht genügt.
$ 21. Um dıe Zwangsvollstreckung zur Vornahme von Handlungen, Duldungen und Unter-
lassungen auf Grund eines Tarifvertrages kann das Gericht die Polizeibehörde ersuchen.
$ 22. Bei Entscheidungen auf Grund von $ 20 haben die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte
Beisitzer zuzuziehen.
$ 23. Entscheidungen auf Grund von $ 20! sind im Reichsanzeiger zu veröffentlichen.
$ 24. Die Vorstände von Berufsvereinen sind zur Mitwirkung bei der Zwangsvollstreckung
gegen Vereinsmitglieder verpflichtet.
$ 25. Die Gewerbe- und Kaufmannsgerichte sind auch für Rechtsstreitigkeiten auf Grund
des Tarifvertrages mit Berufsvereinen je nach der Eigenschaft ihrer Mitglieder zuständig. Der Sıtz
eines Vereins trıtt an Stelle des Wohnsitzes.
$ 26. Die Parteien können die örtliche Zuständigkeit vereinbaren.
$ 27. Wenn ordentliche und Sondergerichte oder Gewerbe- und Kaufmannsgerichte zugleich
zuständig sınd, schliessen die Sondergerichte die ordentlichen, das Gewerbegericht das Kaufmanns-
gericht‘ aus. — Sınd [danach |mehrere Gerichte zuständig, so bestimmt das gemeinsame Ober-
gericht das’zuständige”.Gericht.
1’) Als oberste Instanz würde hier künftig ein Reichseinigungsamt zu entscheiden haben.