Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

    
Georg von Schanz, Arbeitslosenversicherung. 
weniger verlockend zu machen, teils um die seltener arbeitslos werdenden Arbeiter zu ver- 
söhnen. So kann das Handelsministerium mit Arbeitgebern, welche Arbeiter durch die Arbeits- 
nachweise bezogen haben, Vereinbarungen treffen, wonach alle ihre vom Gesetz auferlegten Ob- 
liegenheiten, wıe Markenkleben usw. vom Nachweis übernommen werden; ın diesem Falle zahlt 
dann der Arbeitgeber nur für die Arbeit, die ıhm geleistet wırd, nicht für dıe einzelnen Arbeiter; 
ein solcher Arbeitgeber, der 3 Wochen nach einander 3 Taglöhner je 2 Tage beschäftigt, zahlt nicht 
3x2 = 6 pence, sondern, da die 3x2 Tage alseine Wochegerechnet werden, nur 215, pence. Analog 
gelten für den Arbeiter, der durch den Arbeitsnachweis an einen oder mehrere Arbeitgeber vermittelt 
worden ist, alle diese einzelnen Beschäftigungsperioden als ununterbrochene Beschäftigungszeit bei 
einem Unternehmer. Wennein Arbeitgebereinen Arbeiter dasganze Jahr beschäftigt und fürıhn wenig- 
stens 45 Wochen — 7 Wochen Ausfall ım Jahr für Krankheit etc. schaden also nichts — bezahlt hat, 
erhält er 4, seiner Beiträge zurückerstattet, und wenn er während einer wirtschaftlichen Depression 
durchgehends die Arbeitszeit herabsetzt, statt dıe Arbeiter alle oder teilweise zu entlassen, und 
während dieser Zeit seinen und seiner Arbeiter Anteil an den Versicherungsbeiträgen zahlt, kann er 
die gesamten Beiträge während der Depression vom Handelsamt zurückverlangen. Hat ein Arbeiter 
für wenigstens 500 Wochen Beiträge gezahlt, so kann er, sobald er 60 Jahre alt geworden ist, seine 
gesamten eigenen Einzahlungen zuzüglich von 21, % Zinsen und abzüglich etwa an Ihn gezahlter 
Unterstützungen zurückerhalten; stirbt er in diesem Alter, so wırd diese Summe seinen Erben aus- 
gezahlt. — Insoweit bei den dem Versicherungszwang unterliegenden Industriezweigen Gewerk- 
vereine bestehen, welche selbst Arbeitslosenunterstützung bezahlen, kann die Auszahlung bei 
diesen statt bei dem Arbeitsnachweıs erfolgen. Der Staat trägt dann % der gewerkschaftlichen 
Unterstützung, aber höchstens bis zu 7sh. pro Woche. Bıs Februar 1913 waren entsprechende 
Vereinbarungen mit 99 Organisationen getroffen. Insoweit es sıch nıcht um zwangsweise ver- 
sicherte Industrien handelt, können die Arbeiterorganisationen staatlich eine Beihilfe bis zum 
Betrage von 1/. der von ihnen gezahlten wöchentlichen Unterstützungen erhalten, sofern diese 
nicht die Summe von 12sh. pro Woche überschreiten. Die Summen hierfür werden, da sie ausserhalb 
der Zwangsversicherung liegen, besonders vom Parlament bewilligt. Bis Februar 1913 haben 
274 Organisationen die Beihilfe erbeten. — Es muss abgewartet werden, wie dıeser bedeutsame 
Gesetzesversuch sich bewährt. Eine völlige Hilfe bietet er sicher nıcht; man nimmt an, dass 
die 15 wöchentliche Unterstützungszahlung die Dauer der Arbeitslosigkeit kaum zu 50 % deckt. 
In Deutschland hat man die Frage einer allgemeinen obligatorischen Arbeitslosenversicherung 
viel erörtert. Man wollte die Lösung finden in Anlehnung an die Krankenkasse (Tischendörfer), 
an die Berufsgenossenschaften der Unfallversicherung (Herkner, Buschmann), an die Berufs- 
genossenschaften und Arbeiterverbände (Zacher), an die Invalidenversicherung (Molkenbuhr), an 
erzwungene Arbeiterverbände (von Elm, Korrespondenzblatt der Gewerkschaften), an die parı- 
tätischen Arbeitsnachweise (Freund, Imle, Scheig), an dıe Gemeinden (Sonnemann, Baab); aber 
befriedigt hat keiner dieser Vorschläge. Eine ernstliche Inangrifnahme setzt eine geschlossene 
Organisation des Arbeitsnachweises voraus, die bis jetzt in Deutschland fehlt und selbst noch Gegen- 
stand heftigen Interessenkampfes ist. Der Arbeitsnachweis würde ım Zusammenhang mit einer 
obligatorischen Arbeitslosenversicherung eine Art Zwangsanstalt, die kaum Zufriedenheit schafft. 
Geht doch auch das englische Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 16. Dezember 1911 bereits so 
weit, dass der Versicherungsbeamte des Arbeitsnachweises Versicherte, die häufig infolge mangel- 
hafter Geschicklichkeit beschäftigungslos werden, zu einem geeigneten technischen Unterricht 
zwingen und ıhnen, wenn sie diesen ablehnen oder ohne Erfolg benutzen, den Unterstützungs- 
anspruch entziehen kann. 
Erwähnt sei noch, dass der deutsche Städtetag am 25. September 1911 in einer Eingabe 
an den Bundesrat eine obligatorische Versicherung, aber zunächst nur für die winterliche Arbeits- 
losigkeit der Bau-, Erd- und Gelegenheitsarbeiter, die immer die meiste Beunruhigung be- 
reitet, verlangt hat. 
Ein grosser Teil der arbeitslosen Zeit wird schon heute von den Arbeitern selbst überwunden ım 
Weg der Sparrücklagen. Ende 1911 gab es in Deutschland 22,3 Mill. Sparkassenbücher, auf 3 Per- 
sonen, also auf jede Familie mindestenseines; scheidet mandie Kreise, welche für die Sparkassen nicht 
    
  
  
  
  
  
  
  
  
 
	        
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