Ludwig Pohle, Die Wohnungsfrage. 65
Art.1°) Die Gemeinde tritt hier also an die Stelle der Bodenspekulation, sie sucht die Gewinne, welche
diese sonst erzielt, in ıhre Tasche zu leiten, muss dafür freilich auch das Risiko der letzteren über-
nehmen. Welche finanziellen Ergebnisse dıe Gemeinden mit dieser Bodenpolitik erzielen, das hängt
naturgemäss vor allem davon ab, ob es ıhnen gelingt, das Gelände ım Stadterweiterungsgebiet noch
zu niedrigen Preisen zu erwerben und es später vorteilhaft wieder zu verwerten. Im Hinblick auf
den Umfang, in dem manche deutschen Gemeinden, wie namentlich Frankfurt a. M., Cöln u.a. in
den letzten Jahren Bodenankäufe vorgenommen haben — aus solchen grösstenteils mit Anleihe-
mitteln durchgeführten Ankäufen erwächst der Stadtgemeinde natürlich auch eine gewaltige
Zinsenbelastung, — kann man Zweifel hegen, ob unsere Gemeindeverwaltungen so organisiert
sind, dass sie Terrainspekulationsgeschäfte solchen Umfangs zu einem vorteilhaften Ende zu
führen imstande sind. Eine boden- oder wohnungverbilligende Wirkung kann von dieser Politik,
welche den städtischen Boden ım allgemeinen zu den höchsten Preisen, die sich erzielen lassen, zu
ve:kaufen sucht, natürlich nicht erwartet wcrden. Unter Umständen führt dies: Politix sogar zu
einer Verteuerung des Bodens. Denn die Stadtgemeinden sınd vermöge ihrer Finanzkraft viel eher
in der Lage, eine Polıtık der Zurückhaltung des Baulandes zu treiben als private Grundbesitzer.
Ein Teil der grossstädtischen Gemeinden hat indessen nicht nur Boden erworben, um ihn
mıt Nutzen wieder zu verkaufen, sondern zum Teil auch, um ıhn zu besitzen und in den Dienst
der Wohnungspolitik zu stellen. Besonders auf drei verschiedenen Wegen ist das bisher geschehen.
Erstens nach dem Vorgange von Ulm, dessen Beispiel bisher nur allerdings nur wenig Städte gefolgt
sind, mit Hilfe des Wiederkaufsrechts. Dort behält sich die Stadt an den von ihr gebauten
und verkauften Häusern ein Wiederkaufsrecht vor und unterwirft die Hausbesitzer überhaupt
einer Reihe von einschränkenden Bestimmungen. Zweitens In einer grösseren Zahl von Gemeinden
(z. B. Leipzig, Frankfurt a. M., Strassburg) mit Hilfe des Erbbaurechts, indem städtisches Gelände
an gemeinnützige Gesellschaften, Genossenschaften usw., zum Teil auch an Private, zur Errichtung
von Häusern, dıe nach Ablauf der Erbpachtfrist an die Stadt fallen, gegen mässig bemessene Zinsen
überlassen wurde. Es hat sich dabei gezeigt, dass insbesondere Privatpersonen zum Abschlusse von
Erbbauverträgen für städtischen Boden wegen der Schwierigkeit der hypothekarischen Beleihung
von Erbbauhäusern nur zu gewinnen sind, wenn die Stadtgemeinde auch die Beschaffung der Bau-
gelder ın weitgehendem Masse übernimmt. Als dritten Weg zur Verwertung städtischen Bodens für
dıe Wohnungspolitik haben Freiburg i. B. und Zürich den Wohnungsbau und die Wohnungsver-
mietung durch die Stadt selbst eingeschlagen.
Ein endgiltiges Urteil über die Wirkungen dieser wohnungspolitischen Experimente,
insbes. auch auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der unmittelbar Beteiligten, lässt sich noch
nıcht abgeben. Handelt es sich doch auch beim Wiederkaufsrecht sowie beim Erbbau-
verhältnis, welch letzteres in der Ausgestaltung, die es in England erhalten hat, die
Entwicklung der dortigen Wohnungsverhältnisse nicht gerade günstig beeinflusst hat, um
ziemlich komplizierte Einrichtungen, deren Gesamtwirkung erst in späterer Zeit sich über-
sehen lassen wırd. Ob sich diese Einrichtungen zur Durchführung in grossem Massstabe eignen,
worauf es doch ankommt, und ob sie die geeigneten Mittel sind zu der soviel verlangten Wohnungs-
reform grossen Stils, welche die Wohnun en allgemein wieder verbilligen soll, darf aber schon heute
alssehr zweifelhaft bezeichnet werden. Das wird übrigens auch von manchen Wohnungsreformern
often anerkannt. Jedenfalls haben sie auf die allgemeinen Wohnungszustände und die Wohnungs-
preise ın den betreffenden Städten im allgemeinen einen erheblichen Einfluss, abgesehen vielleicht
nur von Ulm, nicht auszuüben vermocht. Dazu ist die Zahl des in Wohnungen der fraglichen Art
untergebrachten Teils der Bevölkerung regelmässig viel zu gering. Selbst in Frankfurt a. M., wo
auf diesem Gebiete unter allen Grossstädten mit am meisten geschehen ist, wohnten am 31. Dez. 1910
Im ganzen nur 21 021 Personen, in den 4862 von der gemeinnützigen Bautätigkeit!!) hergestellten
Wohnungen; das sind nur wenig über 5 %, der Gesamtbevölkerung. Und ebenso belief sich ın
Freiburg i. B., wo der städtische Wohnungsbau und die direkte Vermietung durch die Gemeinde
ıw) Über die Beteiligung der Grossstadtgemeinden an den Grundstücksumsätzen in ihren Gebieten s. die
Angaben in dem „Statistischen Jahrbuch deutscher Städte“, insbes. im 15. Jahrg.
11) Nach dem Jahresbericht des „Sozialen Museums“ in Frankfurt a. M. für 1910.
Handbuch der Politik. IH. Auflage. Band II. v