Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten. Erster Band. 1905. (1)

Bestrafung der Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen im allgemeinen. 145 
geschlossen (nur als Selbsttäterschaft denkbar). Gegenüber der in § 51 an- 
genommenen freien Willensbestimmung behauptet bekanntlich wieder die 
neuere Philosophie mit Nachdruck, daß der menschliche Wille überhaupt nicht 
frei, sondern lediglich das Ergebnis zusammenwirkender Ursachen sei, der an- 
geborenen Veranlagung, der Erziehung und der Lebensschicksale des einzelnen. 
Das Strafgesetz müsse freilich einen freien Willen annehmen. 
Unwiderstehliche Gewalt. 
§ 52. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn der Täter 
durch unwiderstehliche Gewalt oder durch eine Drohung, welche mit einer 
gegenwärtigen, auf andere Weise nicht abwendbaren Gefahr für Leib oder 
Leben seiner selbst oder eines Angehörigen verbunden war, zu der Handlung 
genötigt worden ist. 
Als Angehörige im Sinne dieses Strafgesetzes sind anzusehen Verwandte 
und Verschwägerte auf= und absteigender Linie, Adoptiv= und Pflege-Eltern 
und -Kinder, Ehegatten, Geschwister und deren Ehegatten, und Verlobte. 
Unwiderstehliche Gewalt wohnt der Gehorsamspflicht eines Unter- 
gebenen gegenüber einem als ungesetzlich erkannten Befehl des Vorgesetzten nicht 
inne. — Verwandte auf= und absteigender Linie sind eheliche und außereheliche. 
Verschwägerte auf= und absteigender Linie sind Schwiegereltern und -Kinder und 
Stiefeltern und -Kinder, auch nach Lösung der das Verhältnis begründenden Ehe 
durch den Tod; — nicht: Ehemänner zweier Schwestern. Pflegeeltern 2c., ein 
tatsächliches Verhältnis, nach allgemeinem Sprachgebrauch und der Auffassung des 
Lebens zu bestimmen. — Verlöbnis, beiderseitiges, formloses, aber ernstgemeintes 
Eheversprechen, darf nicht dem Gesetz oder den guten Sitten zuwiderlaufen. 
Also kein Verlöbnis seitens eines anderweit Verheirateten. Beihilfe und An- 
stift ind 52 ausgeschlossen. 
stiftung sind zu § 52 ausgeschlossen Notwehr. 
§ 53. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung 
durch Notwehr geboten war. 
Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegen- 
wärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden. 
Die Ueberschreitung der Notwehr ist nicht strafbar, wenn der Täter in 
Bestürzung, Furcht oder Schrecken über die Grenzen der Verteidigung hinaus- 
gegangen ist. 
Die Verteidigung muß erforderlich sein, was nach dem wirklichen 
Sachverhalte zu beurteilen ist. Aber der irrige gute Glaube, eine Handlung 
sei durch Notwehr geboten oder die gewählte Art der Verteidigung sei erforder- 
lich, schützt vor Strafe, weil er das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ausschließt. 
Nur „Bestürzung, Furcht oder Schrecken“ schützen bei Ueber- 
schreitung der Notwehrgrenzen vor Strafe; nicht: gereizter Zorn. 
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