Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten. Erster Band. 1905. (1)

146 III. Strafgesetzbuch. — Erster Teil. 
Der Angriff braucht nicht gegen die Person, er kann gegen das Eigen— 
tum oder die Ehre gerichtet sein. Es muß aber ein „Angriff“ vorliegen. Ein 
„Angriff“ liegt nicht vor, wenn diese Tätigkeit selbst eine Abwehrhandlung ist. 
Niemand braucht, statt in Notwehr zu handeln, unehrenhaft zu fliehen. 
Notstand. 
§ 54. Eine strafbare Handlung ist nicht vorhanden, wenn die Handlung 
außer dem Falle der Notwehr in einem unverschuldeten, auf andere Weise nicht 
zu beseitigenden Notstande zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für 
Leib oder Leben des Täters oder eines Angehörigen begangen worden ist. 
„Notstand“: unverschuldete Gefahr, die auf Ereignissen, nicht auf 
dem Angriff eines Menschen (8 53) beruht. Z. B. Umschlagen eines Bootes. 
Kinder unter 12 Jahren. 
§ 55. Wer bei Begehung der Handlung das zwölfte Lebensjahr nicht 
vollendet hat, kann wegen derselben nicht strafrechtlich verfolgt werden. 
Gegen denselben können jedoch nach Maßgabe der landesgesetzlichen Vor- 
schriften die zur Besserung und Beaufsichtigung geeigneten Maßregeln getroffen 
werden. Die Unterbringung in eine Familie, Erziehungsanstalt oder Besserungs- 
anstalt kann nur erfolgen, nachdem durch Beschluß des Vormundschaftsgerichtes 
die Begehung der Handlung festgestellt und die Unterbringung für zulässig 
erklärt ist. 
Das 12. Lebensjahr ist mit dem 12. Geburtstag vollendet. Beihilfe, 
Anstiftung und Mittäterschaft zur Tat eines Strafunmündigen sind strafbar. 
— Ein Erwachsener kann als „Teilnehmer“ strafbar sein. 
Jugendliche. 
§ 56. Ein Angeschuldigter, welcher zu einer Zeit, als er das zwölfte, 
aber nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, eine strafbare Handlung 
begangen hat, ist freizusprechen, wenn er bei Begehung derselben die zur Er- 
kenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß. 
In dem Urteile ist zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner Familie 
überwiesen oder in eine Erziehungs= oder Besserungsanstalt gebracht werden 
soll. In der Anstalt ist er so lange zu behalten, als die der Anstalt vor- 
gesetzte Verwaltungsbehörde solches für erforderlich erachtet, jedoch nicht über 
das vollendete zwanzigste Lebensjahr. 
Die moderne kriminalistische Schule fordert mit Recht auf grund der 
Ergebnisse der neueren Wissenschaften, daß Kinder erst mit dem vollendeten 
14. Lebensjahre auf die Anklagebank gesetzt werden. Die Feststellung der zur 
Erkenntnis der Strafbarkeit erforderlichen Einsicht erfolgt in der Praxis nicht
	        
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