— 106 —
Uniformen und Fahnen einen höchst unordentlichen, aufeinander gehäuften
Menschenklumpen. Allein es bedarf nur eines Winkes des Heerführers, so ent—
wickelt sich dieser lebendige Knäuel in der größten Ordnung und mit einer solchen
Schnelligkeit, die einem reißenden Strome ähnlich ist.
So griff Friedrich den linken Flügel der Osterreicher an und zwar zu eben
der Zeit, wo die mit den preußischen Evolutionen unbekannten kaiserlichen Feld-
herren die Bewegungen der Preußen für einen Rückzug ansahen, daher auch
Daun zum Prinzen von Lothringen sagte: „Sie marschieren fort; wir wollen sie
abziehen lassen.“ Mehrere Regimenter trugen sicherheitsvoll ihr kleines Feld-
geräte, ihre Brotsäcke, ja selbst die mit ihren Habseligkeiten angefüllten Tornister
hinter die Front und legten sie in Haufen zusammen, um sich nach ihrer Meinung
auf einige Stunden von einer unnützen Last zu befreien. Die Täuschung aber
verschwand bald, und man sah mit Schrecken die kunstvolle Annäherung der
Preußen, die beide feindliche Flügel zugleich bedrohten. Lucchesi, der auf dem
rechten Flügel die kaiserliche Kavallerie kommandierte, uneingedenk seiner Prahlereien
im Kriegsrat, verlor den Mut; er glaubte, daß hier der Hauptangriff geschehen
würde, und bat dringend um Unterstützung. Daun wollte diese nicht vor der Zeit
erteilen, und erst, nachdem Luchhesi sich von aller Verantwortung bei einem un-
glücklichen Ausgang der Schlacht lossagte, wurde ihm ein großer Teil Kavallerie
vom linken Flügel in vollem Trabe zu Hilfe gesandt, und Daun selbst eilte mit dem
Reservekorps dahin. Nadasdi, der erfahrenste Feldherr des Heeres, der den linken
Flügel kommandierte, war bald überzeugt, daß sein Flügel das Ziel des preußischen
Angriffes war, und daß die Bewegungen gegen den rechten nur militärische
Fechterkünste waren. Mehr als zehn hintereinander abgeschickte Offiziere mußten dem
Prinzen Karl die augenscheinliche Gefahr melden. Karl befand sich in der größten
Verlegenheit, da die Berichte von zwei seiner vornehmsten Feldherren einander
gerade entgegengesetzt waren. Er entschied jedoch für Lucchesi, der bald seinen Tod
auf dem Schlachtfeld fand, und Nadasdi wurde erst gehört, da es zu spät war.
Indessen geschah der Angriff der Preußen mit solcher Kriegswut, daß alles
auf dem linken Flügel über den Haufen geworfen wurde. Frische Regimenter
kamen den geworfenen zu Hilfe, allein man ließ sie nicht einmal formieren; kaum
zeigten sie sich, so wurden sie auch zurückgeschlagen. Ein österreichisches Regiment
fiel aufs andere, die Linie wurde auseinander gesprengt, und die Unordnung war
unaussprechlich. Die kaiserlichen Kürassiere stellten sich in Schlachtordnung, allein
eine preußische Hauptbatterie brachte sie bald auseinander, worauf die preußische
Kavallerie auf sie fiel und sie gänzlich aus dem Felde schlug. Viele Tausend von
den kaiserlichen Truppen konnten zu keinem Schuß kommen, sie mußten mit dem
Strom fort. Der stärkste Widerstand geschah in dem Dorfe Leuthen, das mit vielen
kaiserlichen Truppen und Artillerie besetzt war. Hierzu kamen große Haufen
Flüchtlinge, die alle Häuser, alle Gärten und alle Winkel des Orts anfüllten und
sich verzweifelt wehrten. Endlich aber mußten sie doch weichen. So erschrecklich
aber auch die Unordnung bei der geschlagenen Armee war, so versuchten dennoch
ihre besten Truppen unter Begünstigung des Terrains standzuhalten; allein die
Hreußische Artillerie schlug sie bald in die Flucht, und die preußische Kavallerie, die
auf allen Flügeln einhieb, machte immer Gefangene zu Tausenden. Das Dragoner-
regiment von Bayreuth nahm auf einmal zwei ganze Infanterieregimenter mit
allen Offizieren, Fahnen und Kanonen gefangen. Die österreichische Infanterie
machte noch einen letzten Versuch, sich auf einer Anhöhe zu formieren; allein der