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20.
Die Frage der bayrischen Erbfolge.
1778.
Quelle: Schreiben Friedrichs des Großen an Joseph II. 14. April 1778.
Übersetzung: G. Mendelssohn-Bartholdy a. a. O. S. 462—468.
Schönwalde, 14. April 1778.
Mein Herr Bruder! Ich habe mit aller möglichen Genugtuung den Brief
empfangen, den Eure Kaiserl. Majestät die Güte hatte, mir zu schreiben. Ich
habe weder einen Minister, noch einen Schreiber bei mir, so muß sich Eure
Kaiserl. Majestät mit der Antwort eines Soldaten begnügen, der Ihnen mit
Ehrlichkeit und Offenheit über einen der wichtigsten Gegenstände schreibt, die die
Politik seit langer Zeit dargeboten hat. Niemand wünscht mehr als ich, den Frie-
den und das gute Einvernehmen Europas zu erhalten. Aber es gibt für alles
Grenzen, und hier liegt ein so heikler Fall vor, daß guter Wille allein nicht genügt,
die Lage in voller Ruhe aufrechtzuhalten. Eure Majestät wolle mir gestatten,
Ihnen offen den Stand der gegenwärtigen Frage aus der Lage der Dinge aus-
einanderzusetzen. Es handelt sich darum, festzustellen, ob ein Kaiser nach freier
Willkür über die Reichslehen verfügen kann. Das widerspricht den Gesetzen, Ge-
wohnheiten und Gebräuchen des Römischen Reiches. Kein Fürst wird dazu die
Hand bieten, jeder wird sich auf sein Lehnrecht berufen, das diese Besitzungen
den Nachkommen sichert, und niemand wird seine Zustimmung dazu geben, selbst
die Macht eines Despoten zu befestigen, der ihn selbst und seine Kinder früher
oder später seines ihm seit Menschengedenken gehörenden Besitzes berauben wird.
Das ist es, was den ganzen deutschen Fürstenstand gegen die widerrechtliche Art,
auf die Bayern gewaltsam besetzt worden ist, aufschreien läßt. Ich selbst bin als
Glied des Reiches, und weil ich den Westfälischen Frieden durch den Hubertus-
burger erneuert habe, unmittelbar verpflichtet, die Freiheiten und Rechte des
deutschen Fürstenstandes und die kaiserlichen Kapitulationen aufrechtzuerhalten,
durch die man die Macht des Reichsoberhauptes beschränkt hat, um Mißbräuchen
vorzubeugen, die es mit seiner Vormachtstellung treiben könnte. So ist, Sire,
der wahre Stand der Dinge. Ein persönliches Interesse habe ich dabei nicht;
aber ich bin überzeugt, daß Eure Majestät selbst mich für einen feigen und Ihrer
Achtung unwürdigen Mann ansehen würden, wenn ich ehrloser Weise die Rechte,
Freiheiten und Privilegien opfern wollte, die die Kurfürsten und unter ihnen auch
ich von unseren Vorfahren überkommen haben. —
Ihrer Kaiserl. Maj. guter Bruder usw.
71.
Deutsche Politik Friedrichs des Großen.
Quelle: Der Grundvertrag des deutschen Fürstenbundes vom 23. Juli 1785.
Fundort: A. W. Schmidt, Preußens deutsche Politik. Berlin 1819. S. 440—442.
Artikel 1. Das Augenmerk der drei Verbündeten!) ist die Aufrechterhaltung
und Befestigung des Reichssystems. Zu dem Ende soll ein vollkommenes Ein-
— "
1) Der von Friedrich dem Großen gestiftete Fürstenbund hatte den Zweck, seine
Mitglieder gegen willkürliche Beschlüsse des Reichsoberhauptes zu sichern und die deutschen