Tilsit, den 3. Januar 1813.
Ew. königlichen Majestät Monarchie, obgleich beengter als im Jahre 1805,
ist es jetzt vorbehalten, der Erlöser und Beschützer Ihres und aller deutschen Völker
zu werden. Es liegt klar am Tage, daß die Hand der Vorsehung das
große Werk leitet. Jetzt oder nie ist der Moment, Freiheit, Unabhängig-
keit und Größe wiederzuerlangen. In dem Ausspruche Ew. Majestät
liegt das Schicksal der Welt. Der Furchtsame will ein Beispiel, und Osterreich
wird dem Wege folgen, den Ew. Majestät bahnen. Ew. Majestät kennen mich als
einen ruhigen, kalten, sich in die Politik nicht einmischenden Mann. So lange
alles im gewöhnlichen Gange ging, mußte jeder treue Diener den Zeitumständen
folgen. Das war seine Pflicht. Die Zeitumstände aber haben ein ganz anderes
Verhältnis herbeigeführt, und es ist ebenfalls Pflicht, diese nie wieder zurück-
kehrenden Verhältnisse zu benutzen. Ich spreche hier die Sprache eines alten,
treuen Dieners, und diese Sprache ist die fast allgemeine der Nation. Der Aus-
spruch Ew. Majestät wird alles neu beleben und begeistern, wir werden uns wie
alte, echte Preußen schlagen, und der Thron Ew. Majestät wird für die Zukunft
felsenfest und unerschüttert dastehen.
Ich erwarte nun sehnsuchtsvoll den Ausspruch Ew. Majestät, ob ich gegen den
wirklichen Feind vorrücke, oder ob die politischen Verhältnisse erheischen, daß Ew.
Majestät mich verurteilen. Beides werde ich mit treuer Hingebung erwarten, und
ich schwöre Ew. königlichen Majestät, daß ich auf dem Sandhaufen ebenso ruhig
wie auf dem Schlachtfelde, auf dem ich grau geworden bin, die Kugel erwarten
werde. Ich bitte daher Ew. Majestät um die Gnade, bei dem Urteil, das gefällt
werden muß, auf meine Person keine Rücksicht nehmen zu lassen. Auf welche Art
ich sterbe, ich sterbe immer als Ew. Mgjestät
alleruntertänigster und getreuster Untertan
Morck.
112.
Stimmung in Preußen nach dem Untergange der Grande Armée.
1812—1813.
Quelle: Ed. Schüller: Jugenderinnerungen. Leipzig 18761).
Weihnachten kam heran. Ich erhielt die Erlaubnis, meinen Vater zu besuchen.
Bei den damals so schlechten Posten reiste ich in einer kalten Dezembernacht auf
offenem Wagen nach Liegnitz und von dort zwar in einem bedeckten, doch nicht
minder unbequemen Fuhrwerke bis Neustädtel. Ich ahnte nicht, daß ich es einst sein
sollte, der diesen menschenmörderischen Fuhrwerken mit das Todesurteil sprechen sollte.
Ehe ich im Vaterhause einkehrte, muß ich der großen politischen Bewegungen
gedenken, die sich um diese Zeit zu entwickeln begannen. Den ganzen Sommer
über hatte in dem fernen Rußland der Krieg getobt. Bei uns war eine schein-
bare Ruhe eingetreten, besonders in dem Teile Schlesiens, in dem ich wohnte,
und der von Durchmärschen der französischen Truppen nicht berührt wurde. Aber
schon kamen im Spätherbst bedeutsame Nachrichten vom Kriegsschauplatze. Bis
dahin hatte man auch diesmal an den Sieg Napoleons geglaubt. Es konnte ja
1) Der 1869 verstorbene Oberpostrat Schüller war in seiner Jugend Verwalter auf
uem herrschaftlichen Gute zu Ols in Schlesien. Im Frühjahr 1813 wurde er freiwilliger
äger.