Full text: Die Stellung des deutschen Kaisers

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und sich nicht nur auf den Abdruck der Ausfertigungs- 
worte zu beschränken. Eine Verfassungswidrigkeit kann 
ich dagegen keinesfalls in dem üblichen Modus finden. 
Meines Erachtens hat die durch die Reichsverfassung vor- 
geschriebene Verkündigung den Zweck, die Angehörigen 
des Reichs in den Stand zu setzen, sich über die er- 
lassenen Gesetze zu informieren. Und dieser Zweck wird 
durch ein blosses Citat ebenso erreicht, wie durch einen 
wortgetreuen Abdruck des Gesetzes. 
Die Wirkung der Verkündigung ist nun nach Art. 2 
R.-V. die verbindliche Kraft, die das betreffende Gesetz 
mangels einer abweichenden Bestimmung im Gesetze 
selbst mit dem vierzehnten Tage nach. dem Ablaufe des- 
jenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des 
Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben wird, erlangt. 
Der Kaiser ist es also, der durch seinen Befehl, das 
Gesetz zu verkündigen, die Realisierung des Gesetzes, 
wenn ich mich so ausdrücken darf, herbeiführt. — Fricker') 
hat nun den Versuch gemacht, diese Verbindlichkeit nicht 
nur auf die dem Gesetze Unterworfenen, sondern auch 
auf die Gesetzgebungsfaktoren zu beziehen, dergestalt, 
dass bis zu dem in Art. 2 bezw. im Gesetze selbst ange- 
gebenen Zeitpunkte es dem Bundesrat und dem Reichstag 
noch freistünde, ihre Beschlussfassung über das Gesetz 
abzuändern, also ihre bereits erteilte Zustimmung zu dem 
Gesetze zurückzunehmen, während sie nach Ablauf 
dieser Frist an ihre Zustimmung zu dem Gesetze gebunden 
wären. Meines Erachtens ist diese Auffassung indessen — 
abgesehen von allem andern Entgegenstehenden — auf 
eine Verkennung des Zweckes der Vorschrift des Art. 2 
zurückzuführen. Denn wenn dort bestimmt wird, dass ein 
Gesetz nicht schon mit dem Augenblicke seiner Verkün- 
digung sondern — regelmässig — erst nach Ablauf eines 
gewissen Zeitraums verbindlich werden soll, so ist dies 
eine Massregel der Billigkeit gegenüber denen, für die es 
erlassen wird. Zu welchem Zwecke aber selbst noch 
nach der Verkündigung den Gesetzgebungsfaktoren ge- 
1) Fricker a. a. 0. S. 3.
	        
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