Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

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vorteilen, wenn sie z. B. Glasperlen gegen Goldkörner austauscht, oder 
Kattun gegen Elfenbein, sie kann sich aber nicht selbst übervorteilen. 
Jedenfalls führt die Entwicklung zu Privatmonopolen und Syndikaten 
zu einer Negation des Guten der kapitalistischen Produktionsweise. 
Wenn sie als gute Seite schließlich auch manchmal den Zweck haben, 
daß sie Werte erhalten, so haben sie immerhin etwas von Enteignung 
durch eine Kapitalistenklasse an sich, die die Proletarisierung fördert und 
zum mindesten einem Staatssozialismus entgegentreibt. 
Betrachtet man die kapitalistische Produktion und mit ihr die 
Konkurrenz aber von der guten Seite, so liegt diese darin, daß die 
Ülberproduktion den Profit zugunsten des Verbrauchers vermindert und 
daß sie den Produzenten zwingt, durch Fortschritt seinen Betrieb auf 
die Höhe zu bringen. In dieser Wirkung liegt überhaupt der Zweck der 
ganzen kapitalistischen Wirtschaftsweise. 
Wie man sieht, kommt es bei der Entwicklung ganz darauf an, 
von welcher Seite man die Sache betrachtet. Wenn der Kapitalist und 
mit ihm die Gesellschaft das Profitmachen als Selbstzweck ansieht, so 
negieren sie sich selbst und arbeiten selbst an ihrer Ausschaltung; in 
diesem Sinne sind sie gewissermaßen die praktischen Anhänger des 
Marxismus. Betrachtet die Gesellschaft den Kapitalismus aber als 
Mittel zum Zweck, wirkt seinen Auswüchsen entgegen und lenkt seine 
Entwicklung auf den richtigen Weg, so kann sich sicher der Kapitalismus 
zum Wohle des Ganzen so lange behaupten, als er notwendig ist. 
Vor allen Dingen zeigt uns dieses aber, daß in der ökonomischen 
Entwicklung nichts historisch Materialistisches ist, das mit Notwendig- 
keit zu einer bestimmten Produktionsänderung führen muß. Die Ent- 
wicklung in der Okonomie nimmt den Gang, den ihr Einsicht und 
Moral der Gesellschaft vorschreiben. 
Einsicht und Moral haben aber nur eine feststehende Bedeutung 
inbezug auf einen Zweck. D. h. die Menschen können keine Naturgesetz- 
mäßigkeit schaffen; sie können aber die Richtung einer Entwicklung 
beeinflussen, d. h. sie können die Richtung einer Entwicklung so beein- 
flussen, daß sie für die Gesellschaft zweckmäßig ist oder nicht. Es sieht 
dieses zwar nicht sehr materialistisch aus, der Materialismus läßt aber, 
wie ich im dritten Abschnitt näher ausführen werde, eine Zweckmäßig- 
keit nicht nur zu, sondern er muß sie für eine Entwicklungstheorie über- 
haupt voraussetzen. Die Zweckmäßigkeit ist für ihn nur keine Sache der 
à priori-Erkenntnis oder der unmittelbaren göttlichen Offenbarung, 
sondern es ist für ihn eine reine Erfahrungssache. 
Für Marx spielt die Einsicht in der Entwicklung insofern eine 
Rolle, als er bei der Umwandlung der einen in die andere Produktions- 
weise an die Einsicht und Urteilskraft des Menschen appelliert. Die