Full text: Sozialdemokratie, Christentum, Materialismus und der Krieg.

für eine edle Unterhaltung übrig bleibt. Für die nächste Zeit ist dieser 
Idealzustand aber nur noch eine Unmöglichkeit, und vor allen Dingen 
kann er nicht durch politische Gewalt herbeigeführt werden, sondern die 
Menschen können sich nur durch Erlangung eines edlen und wohlpro- 
portionierten Körpers und durch eine sorgfältige Erziehung zu sitt- 
licher Reife hinein entwickeln. 
Hier bleibt uns nun noch die Frage zu erörtern übrig: „Was hat 
die gegenwärtige Gesellschaft zu tun, um die Entwicklung in jenen an- 
gedeuteten Idealzustand zu fördern?“ Wir können die Richtlinien 
hier nur andeuten, da dieselben in den Einzelheiten festzulegen die 
Aufgabe der Politik ist. 
Wie ich bereits im ersten Abschnitt auseinandergesetzt habe, nimmt 
das Vermögen der Welt im allgemeinen und das der Nation im be- 
sonderen dadurch zu, daß die Menschheit mehr Werte produzieren und 
zum Verbrauch nutzbar machen kann, als sie nach den gesellschaftlichen 
Anforderungen verbraucht. Dieses ist notwendig, da einmal Produktions= 
und Unterhaltungsmittel für die Zunahme der Bevölkerung geschaffen 
werden müssen, und da anderseits der Fortschritt der Allgemeinheit 
darin besteht, die Lebenshaltung in materieller und damit ideeller Be- 
ziehung zu verbessern. Diesen Überschuß nach Möglichkeit zu steigern 
und ihn gerecht zu verteilen, ist die Aufgabe der Wirtschaftspolitik. Die 
Verteilungsform ist hierbei die kapitalistische Wirtschaftsweise. Der 
Kapitalismus ist in diesem Sinne nur Mittel zum Zweck und nicht 
Selbstzweck, wie sich diejenigen oft einbilden, die im Besitz der Kapitalien 
sind. Solange der Mensch noch die Zugkraft des Eigentums gebraucht, 
um der Gesellschaft gegenüber seine Schuldigkeit zu tun, solange hat 
auch der Kapitalismus noch seine Berechtigung und solange ist er über- 
haupt noch notwendig. Die kapitalistische Wirtschaftsform, der der 
Eigentumsbegriff zugrunde liegt, bietet die einzige Möglichkeit, daß 
bei der Güterverteilung derjenige den verteilbaren Überschuß bekommen 
kann, der ihn verdient hat. Daß er ihn nicht immer bekommt, das liegt 
nicht an der Verkehrtheit des Kapitalismus an sich, sondern an seinen 
Auswüchsen. Der Kapitalismus ist an sich nicht unmoralisch; er wird 
dieses nur dadurch, daß er von unmoralischen Leuten als Selbstzweck 
angesehen und dementsprechend gemißbraucht wird. Die Gesellschaft 
kann den Kapitalismus deshalb auch nicht schroff beseitigen und durch 
einen unfruchtbaren Kommunismus ersetzen, für den die Menschheit 
noch nicht sittlich reif ist; sie kann ihm aber die Giftzähne ausbrechen. 
Der Krieg hat es ja schon mit sich gebracht, daß die Steuer- 
schraube in den nächsten Jahren derartig angezogen werden muß, daß 
die kapitalistischen Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen. Der 
Krieg hat anderseits nuch bewiesen, daß das Nationalvermögen nur