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Habgier, der Willkür und den Launen ihrer Günstlinge überlieferten,
die ihrerseits als Gegendienst für die Abgaben und für die willenlose
Gefolgschaft im Kriege zu sorgen hatten.
Es muß einleuchten, daß bei solcher Gestaltung Rußland von
inneren Kämpfen vollständig verschont bleiben mußte, so daß im In-
nern gewissermaßen eine politische Friedhofsstille herrschte; daß aber
anderseits bei straffer und rücksichtsloser Zusammenfassung aller brauch-
baren Elemente nach außen hin eine gewaltige Macht entfaltet werden
konnte, die für eine Eroberungspolitik um so erfolgreicher werden
mußte, als es sich namentlich im Norden und Westen um Gegner
handelte, die durch innere Kämpfe nach außen hin weitgehend ge-
schwächt waren.
Schließlich war aber die durch Gewalt und Gewöhnung erreichte
Bedürfnislosigkeit der breiten Massen wenig in der Lage, die produk-
tiven Kräfte des Landes zu wecken und zu steigern, so daß einmal
schon der natürliche Reichtum des Landes nicht zur Geltung kommen
konnte, und anderseits mußte jeder Fortschritt in der innern Entwick-
lung des Landes ausgeschlossen bleiben, denn die Bedürfnislosigkeit
machte keine weitgehende Teilung der Arbeit notwendig, infolgedessen
konnte eine Gliederung in Stadt und Land nicht in dem Maße zur
Geltung kommen, wie sie der europäische Westen aufzuweisen hat.
Die wenigen russischen Städte hatten keinen produktiven Bürgerstand,
der durch regen Gedankenaustausch seinen Gesichtskreis erweiterte und
politisch selbstbewußt wurde, sondern in ihnen dominierte das Militär
und die Beamten des Zaren, die ihre Aufgabe darin suchten, das Volk
für den Zaren und für sich nach Möglichkeit auszuplündern; was sie
um so leichter und gründlicher besorgen konnten, je rückständiger die
Objekte ihrer Ausplünderung waren. Dazu kam ein brutales Zensur-
und Polizeisystem, das jede geistige Regung sofort im Keime erstickte.
Man darf nicht verkennen, daß ein Despotismus, der sich nicht
selbst aufgeben will, im Innern keine andere Politik dulden kann, als
solche, die seinen Absolutismus stärkt. Anderseits führt ein solches
System von selbst dazu, von den innern Gebrechen und Unzulänglich-
keiten durch eine kraftvolle und erfolgreiche Außenpolitik, d. h. durch
Eroberungskriege abzulenken. Bei solcher erfolgreichen Eroberung war es
nur schlimm für die eroberten Völker, die eine höhere Kultur hatten als die
Russen. Die von letzteren unterjochten Völker des Südens und Ostens
hatten eine Kultur nicht aufzugeben; sie gerieten nur aus einem Despo-
tismus in den anderen. Man konnte ihnen dabei nicht einmal die
Sprache und Religion nehmen, denn zu einer Assimilation fremder
Völker waren die Russen als leibeigene Bauern nicht mehr geeignet.
Anders bei den Völkern mit westeuropäischer Kultur. Um diese Völker