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gezogen werden, so könnten diese neuen Lasten nur einer ver-
schwindend geringen Zahl von Steuerpflichtigen, nämlich nur
0,98% der Gesamtzahl der Steuerzahler (nach den Einschät-
zungsergebnissen von 1900) aufgebürdet werden. „Politisch
hat es gewiß die erheblichsten Bedenken, wenn es sich als
Grundsatz einbürgert, zur Deckung erhöhter Staatsausgaben
fortgesetzt ausschließlich die Mittel einer verschwindend klei-
nen Minderheit in Anspruch zu nehmen, die überwältigende
Mehrheit dagegen, gleichviel in welchem Umfange der Staats-
bedarf wächst, vor Mehrleistungen an den Staat zu bewahren“
{Dekret Nr. 4 S. 15). Auch würde die vorgeschlagene Höher-
belastung der Einkommen von über 10000 M. eine Mehrein-
nahme von nur rund zwei Millionen Mark ergeben haben. Da-
her hielt die Regierung den Weg für geeigneter, daß, nachdem
man die Horizontale als „den wesentlichsten Stein des An-
stoßes“ beseitigt, an ihre Stelle einen progressiven Tarif gesetzt
und die alte Skala bis 40000 M.!) entsprechend abgeändert
habe, eine allgemeine Erhöhung der Einkommensteuersätze,
mit Ausnahme der untersten drei Klassen (Einkommen über
400—700 M.), um rund 25% erfolgen solle. Obwohl die Regie-
rung nicht verkannte, daß diese Steuertarifänderung finanziell
einem jedesmaligen, allgemeinen Zuschlag von, rund, 25% gleich-
kommt, so zog sie doch den von ihr vorgeschlagenen Weg jenem
anderen vor. „Psychologisch wirkt dies — so meinte sie —
jedenfalls besser, als wenn durch entsprechende Zuschläge das
gleiche finanzielle Ergebnis erzielt wird, weil man sich an
dauernde Steuersätze leicht gewöhnt, während man bei Zu-
schlägen immer unter dem Eindrucke des Außergewöhnlichen
steht“ (Dekret Nr. 4 S. 16).
Was endlich die Vermögenssteuer anlangt, so vermochte
die Regierung mit dem im Antrage Dr. Mehnert-Georgi ver-
tretenen Gedanken, diese Steuer nur auf das bewegliche Ver-
mögen unter gleichzeitiger Beibehaltung der Grundsteuer
zu beschränken, sich nicht zu befreunden. Sie wies namentlich
auf die Schwierigkeit hin, das bewegliche Vermögen von dem
unbeweglichen zu sondern und den Schuldzinsenabzug auch
nur einigermaßen rationell durchzuführen.
„Erfahrungsgemäß sind“ — so führte die Regierung aus — „die Ver-
bindungen, welche Liegenschaften und Gebäude mit beweglichen Sachen ein-
gehen können, so verschiedenartig und so fein abgestuft, daß es in über-
aus zahlreichen Fällen schwer zu entscheiden ist, ob die bewegliche Sache
durch die Verbindung mit der unbeweglichen als selbständige Sache zu
existieren aufgehört hat und Bestandteil der unbeweglichen Sache geworden
ist, oder ob man die bewegliche Sache nach wie vor als solche behandeln
und dem beweglichen Vermögen zurechnen soll. \Vird sich diese Scheidung
schon bei landwirtschaftlichen Liegenschaften und Gebäuden häufig als
nicht leicht erweisen, so wird sie noch weit mühevoller und im Endergebnis
zweifelhafter sein bei gewerblichen Anlagen, da gerade hier die Verhältnisse
ı) 8. v. Nostitz, a. a. O. S. 110 und 111.