Armengesetzgebung. 145
soldeten Unterstützungsbeamten und das Beamtenpersonal der Arbeitshäuser. Das
gesammte Personal ist verpflichtet „zur Befolgung der Regulative und Anweifung
des Staatsamts“, und entlaßbar nur durch die Staatsbehörde. Die gewählten
Armenräthe (guardians) beschließen zwar über die einzelnen Unterstützungsgesuche
auf den Bericht der Unterstützungsbeamten. Völlig eingeengt unter die Kontrolle
der neben-, über= und untergeordneten Beamten, welche nur der Staatsbehörde
verantwortlich sind, haben diese Beschließungen indessen jede Selbständigkeit verloren.
Nach Anordnung des Staatsarmenamts wird eine angemessene Zahl von
Kirchspielen zu einer Union mit gemeinsamem Armenhaus und Beamtenpersonal
vereinigt, deren zur Zeit gegen 700 für England und Wales bestehen. Nach
dreißigjähriger Arbeit ist es dem Armenamt gelungen, durch Gesetz von 1865 diese
Verbände zu vollen Sammtgemeinden fortzubilden, in welchen alle Kirchspiele die
Gesammtkosten der Armenpflege durch gleichmäßige Gemeindesteuern zu tragen haben.
Aus dem Gebiete des Gesammtverbandes können jetzt nur noch Personen ausgewiesen
werden, welche sich noch nicht ein Jahr darin aufhalten.
Die Hauptschwierigkeiten der Ueberlastung einzelner Kirchspiele und des grund-
satzlosen Almosengebens sind mit diesem System anscheinend überwunden. Es wird
aber darauf ankommen, dem jetzigen Mechanismus die Selbständigkeit des self-
government wieder zu geben, und damit auch die nothwendige Individualisirung
der Armenpflege zurückzuführen.
II. Die A. in Frankreich beschränkte sich während des Mittelalters im
Wesentlichen auf Bettelverbote. Eine positive Fürsorge blieb Sache der Kirche,
der Klöster, der Privatwohlthätigkeit. Im J. 1536 erließ Franz I. eine Or-
donnanz für Paris, welche den Kirchspielen befahl, die angesessenen Armen zu unter-
stützen. 1547 wurde dafür eine allgemeine Armensteuer eingeführt und diese An-
ordnung später auch auf andere Orte übertragen. Auch die Ordonnance de Moulins
1566 art. 73 spricht allgemein von einer Armenunterhaltungspflicht der Gemeinden.
In vielen Stadtgemeinden bildeten sich nun „Wohlthätigkeitsbureaus“ aus Geist-
lichen und Notablen, deren Einkünfte sich aber mehr aus Kollekten als aus Steuern
zu bilden pflegten. Ludwig XIV. erläßt verschärfte Ordnungen gegen das Betteln,
sogar gegen das Almosen geben an öffentlichen Orten, stellt Normativbedingungen
für den Anspruch auf Armenunterstützung in der Behausung und über die Auf-
nahme in Wohlthätigkeitsanstalten, ordnet wiederholt die Erhebung einer Armen-
steuer an und überträgt dem Staatsrath die Entscheidung in allen Angelegenheiten
der Wohlthätigkeitsanstalten. "
Nach dem Ausbruch der Revolution erneut die Nationalversammlung den
Grundsatz der Staatsaufsicht. Seit 1789 wurden in Paris und in den Provinzen
mit großen Kosten „Nationalwerkstätten“ gegründet, welche als nutzlose Unter-
nehmungen später wieder verschwanden. Das Verfassungsgesetz von 1791 will eine
Centralanstalt zur Unterstützung der arbeitsunfähigen Armen, zur Beschaffung von
Arbeit für die Arbeitsfähigen und zur Auferziehung der verlassenen Kinder für das
ganze Land begründen. Der Konvent zieht folgerecht die Güter aller Stiftungen
und Hospitäler ein, inkorporirt sie dem Staatsvermögen und ertheilt jedem Armen
ein Recht auf Unterstützung gegen die das Armenwesen verwaltenden Staatsbeamten.
Diese extravaganten Pläne blieben indessen zum größten Theil unausgeführt. Schon
1796 wird den Wohlthätigkeitsanstalten ihre juristische Persönlichkeit wiedergegeben,
zur Unterstützung der Hausarmen sollen bureaux de bienfaisance gebildet werden.
Die stehenden Armen= und Verpflegungsanstalten erhalten ihre gesonderte Ver-
waltung unter Aufsicht der Gemeindebehörden. Die Gemeinde hat zu unterstützen
Diejenigen, welche durch Geburt oder einjährigen Aufenthalt oder zweijährigen
Dienst der Gemeinde angehören; darüber hinaus solche in der Gemeinde sich auf-
haltenden Personen, welche als Soldaten im Kriege gedient, welche 70 Jahre alt
oder altersschwach oder krank oder in Folge der Arbeit arbeitsunfähig geworden
v. Holtzendorff, Enc. II. Rechtslexikon I. 3. Aufl. 10