Armengesetzgebung. 147
Als allgemeine Wohlthätigkeits-Einrichtung besteht in der Mehrzahl der
Departements eine unentgeltlich gewährte ärztliche Pflege. Aus den Fonds des
Departements sind auch gewisse Zuschüsse zur Unterhaltung armer Kinder und
Gemüthskranker zu leisten sowie ergänzende Beihülfen für Orte, welche ihrer
Dürftigkeit wegen kein Unterstützungsbureau zu bilden vermögen. Es treten dazu
neun Centralanstalten für Blinde, Taubstumme, Irre, allgemeine Hospizien sowie
ansehnliche Zuschüsse zu den Anstalten der sozialen Selbsthülfe.
Für Paris ist ein allgemeines Organisationsgesetz über die assistance publique
vom 10. Jan. 1849 ergangen, welches alle Armenunterstützung und alle Kranken-
und Wohlthätigkeitsanstalten unter einem Generaldirektor centralisirt, dem ein
Ueberwachungsrath aus Mitgliedern des Gemeinderaths und Staatsbeamten, unter
Vorsitz des Seinepräfekten, zur Seite steht. Die Zahl der ihm untergeordneten be-
soldeten Beamten wird im J. 1867 auf 4349 angegeben, dazu ein Dienstpersonal
von 1989 Köpfen. Hier betragen die jährlichen Verwendungen jetzt ungefähr
20 Millionen fr., davon 5 Millionen für Hospitäler, 4½ Millionen für die
hospices, 2½ Millionen für die Waisenpflege, 4 Millionen für Hausarme, der
Rest für Verwaltungskosten.
Die Gesammtausgaben der öffentlichen Wohlthätigkeit werden für 1867
auf 118 Millionen kfr. angegeben. Sie haben ihren Schwerpunkt in den reich aus-
gestatteten permanenten Institutionen, deren privatrechtliche Stellung und Finanz-
verwaltung wohlgeordnet erscheint. Sehr dürftig und auf dem Fuße der Frei-
willigkeit stehen die Gemeindeeinrichtungen zur Unterstützung der Hausarmen
da, mit ihren durchschnittlichen Jahresalmosen von 9—14 fr.! Man rühmt diese
Einrichtungen wegen ihrer Sparsamkeit wie ihrer wohlthätigen Rückwirkung auf die
Arbeitsamkeit der Bevölkerung und betrachtet es als einen Vorzug Frankreichs,
daß der trotzige Geist der Reformation, der in der Zeit der Hugenottenkämpfe auf
dem Wege war, Frankreich eine Zwangsarmenpflege und Armensteuer aufzubürden,
später wieder dem System der „Freiwilligkeit“ Platz gemacht habe. Allein dies
System der Freiwilligkeit ist doch zugleich der Ausdruck einer sehr engen Auffassung
von dem Beruf des Nachbarverbandes und der Entwöhnung der Bevölkerung von
einer persönlichen, wirklich mitverwaltenden Thätigkeit im Gemeindeleben. Es ist
vor Allem die Abneigung gegen eine verantwortliche persönliche Mühewaltung und
gegen eine Lokalbesteuerung, welche das Franz. Armenwesen zu einem sehr unter-
geordneten Theil des Gemeindelebens gemacht hat. Für die ständigen Wohlthätig-
keitsanstalten reicht die Berufsthätigkeit der besoldeten Verwaltungs= und
Rechnungsbeamten besser aus, als für das Unterstützungsgeschäft in den Hausständen.
Ein gewisser universaler Geist der Wohlthätigkeit wird durch die dominirende
Stellung der römisch-katholischen Kirche erhalten. Die neue Republik insbesondere
hat in den Wohlthätigkeitsbureaus der Geistlichkeit einen sehr weitgehenden Ein-
fluß gewährt, der den stetigen Machtzuwachs der Röm. Kirche auch auf diesem
Gebiet gefördert hat. Als Element der Selbstverwaltung aber — zur sittlichen
und politischen Bildung der Nation, zur Kräftigung des Gemeinsinnes in dem
Nachbarverband — ist die Verwaltung des Armenwesens einflußlos und unver-
standen geblieben, wie das Wesen der Selbstverwaltung in Frankreich überhaupt.
III. Die A. in Deutschland zeigt schon am Schlusse des Mittelalters
die beginnende Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche. In den Deutschen
Städten beginnt nach mancherlei Anfängen, die bis in das 13. Jahrh. zurück-
reichen, im Laufe des 15. Jahrh. eine umfassendere Armenpflege. Auf dem Reichs-
tag zu Lindau (1497) wurde beschlossen, „daß jede Stadt und sonstige Gemeinde
ihre Armen ernähren und unterhalten, und keinem fremden Bettler zu betteln ge-
statten solle“. Nur wenn ein Amt oder eine Stadt nicht im Stande wären, ihre
Armen zu ernähren, so „soll die Obrigkeit dieselben Armen mit einem brieflichen
Schein in ein anderes Amt zu befördern Macht haben“. Diese Vorschrift wurde
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