152 Armenverbände.
gegenwärtig die Provinzen Brandenburg, Hannover, Pommern, Posen, Rheinprovinz,
Schlesien, Sachsen, Schleswig-Holstein, Westfalen, Ostpreußen, — wo die Land-
armenpflege zum Theil durch die Kreise geübt wird, — Westpreußen, — wo den
Kreisarmenkommissionen eine Mitwirkung eingeräumt ist, — die Regierungsbezirke
Kassel und Wiesbaden, die Hohenzoller'schen Lande, der Stadtkreis Frankfurt a. M.
und die Städte Berlin, Breslau und Königsberg. Die Verwaltung des Land-
armenwesens wird durch die Provinzial= bzw. kommunal= und kreisständischen Ver-
bände und ihre Organe, in den Städten Berlin, Breslau und Königsberg durch
die Gemeindebehörden besorgt. Die Kosten des Landarmenwesens werden auf die
betreffenden Kreise, Amtsverbände, Oberamtsbezirke 2c. nach dem Maßstabe der in
ihnen aufkommenden direkten Staatssteuern vertheilt.
In den nicht-preußischen Bundesstaaten, wo bis zum Erlaß des Reichsgesetzes
vom 6. Juni 1870 die Armenpflege zum Theil auf wesentlich anderen Voraus-
setzungen beruhte, war die Durchführung der neuen Organisation nicht immer leicht.
Doch sind überall die Orts= und Land-A. ins Leben gerufen. Was letztere betrifft,
so werden dieselben in Baden, Hessen, Sachsen-Meiningen und Waldeck durch die
Kreise, in Mecklenburg-Strelitz durch den Stargarder Kreis bzw. das Fürstenthum
Ratzeburg, in Oldenburg durch die Amtsverbände, in Württemberg durch die Ober-
amtsbezirke gebildet; in Sachsen-Koburg-Gotha ist für das Herzogthum Koburg
und das Herzogthum Gotha je ein Land-A. konstituirt; in den übrigen nicht-preußi-
schen Bundesstaaten umfaßt der Landarmenverband das ganze Staatsgebiet.
Jeder hülfsbedürftige Deutsche muß vorläufig von demjenigen Orts-A.
unterstützt werden, in dessen Bezirk er sich bei dem Eintritte der Hülfsbedürftigkeit
befindet. Die dadurch entstehenden Kosten muß derjenige Orts-A. erstatten, in
welchem der Unterstützte durch zweijährigen ununterbrochenen Aufenthalt bzw.
durch Verehelichung oder Abstammung den Unterstützungswohnsitz (s. diesen
Art.) erworben hat. Doch muß für Gesinde, Gesellen, Gewerbsgehülfen und
Lehrlinge, welche am Dienstorte erkranken, der Orts-A. des letzteren sechswöchentliche
Kurkosten ohne Ersatzanspruch tragen. Hat der Unterstützte keinen Unterstützungs-
wohnsitz, so ist derjenige Land-A. erstattungspflichtig, in dessen Bezirk er sich bei
dem Eintritte der Hülfsbedürftigkeit befand, oder, falls er in hülfsbedürftigem
Zustande aus einer Straf-, Kranken-, Bewahr= oder Heilanstalt entlassen wurde,
derjenige Land-A., aus welchem seine Einlieferung in die Anstalt erfolgt ist.
Jeder A. ist berechtigt, seine Ansprüche gegen einen anderen A. selbständig
und unmittelbar — ohne staatliche Vermittlung — vor den zur Entscheidung
berufenen Behörden zu verfolgen. Dergleichen Streitigkeiten werden, wenn die
streitenden Theile ein und demselben Bundesstaate angehören, auf dem durch die
Landesgesetze vorgeschriebenen Wege entschieden. Der hierin liegende Uebelstand,
daß die eine gleichmäßige Rechtsprechung verbürgende einheitliche letzte Instanz
sehlt, wurde bei der Berathung des Gesetzes vom 6. Juni 1870 nicht ver-
kannt, ließ sich aber aus politischen Gründen nicht vermeiden. In Bezug auf
solche Streitigkeiten, in welchen die streitenden A. verschiedenen Bundesstaaten an-
gehören (sogenannte interterritoriale Streitigkeiten), findet von der höchsten landes-
gesetzlichen Instang noch eine Berufung an das Bundesamt für das Heimathwesen
in Berlin (s. d. Art. Heimathsamt) statt. Durch die Landesgesetzgebung von
14 Bundesstaaten ist später das Bundesamt auch für Landessachen als letzte In-
stanz eingeführt worden, in 10 Bundesstaaten (darunter Königreich Sachsen,
Wüärttemberg, Baden) beruht die Entscheidung letzter Instanz noch jetzt bei einer
Landesbehörde.
Ist ein Armenverband zur Zahlung der ihm endgültig auferlegten Kosten
auher Stande, so hat der Bundesstaat, welchem er angehört, für die Erstattung
zu sorgen.