200 Auslieferungsverträge.
stahl übernommen. Schon 1787 hatte aber England im Vertrage mit Frankreich,
freilich nur für die resp. Ostindischen Besitzungen Auslieferung zugestanden wegen
„offences committed or debts contracted". In seinen Acten von 1870 und 1873
und seinen neuesten Verträgen hat England den Kreis der Auslieferungsverbrechen
sehr erweitert. Schweden liefert im Vertrage mit Oesterreich aus wegen Ver-
letzungen und Verwundungen, welche eine Krankheit oder eine Arbeitsunfähigkeit
von mehr als 20 Jahren oder, nach dem Vertrage mit Belgien, eine scheinbar
unheilbare Krankheit oder den absoluten Verlust des Gebrauchs eines Organs her-
beigeführt haben; nach den Verträgen mit Oesterreich, Frankreich, Belgien auch
wegen jeden Diebstahls, nach dem Vertrage mit Italien nur wegen gualifizirten;
nach dem Vertrage mit Oesterreich auch für Verleumdung und nach dem mit Bel-
gien sogar für Vergiftung fremder Thiere. Rußland hatte früher wegen aller
Verbrechen und Vergehen die Auslieferung bedungen in seinen Verträgen mit
Preußen (1830, 1844 und 1857), ebenso Portugal und Spanien in ihrem
Vertrage (1823). In seinen neueren Verträgen hat aber Rußland nur wegen
namentlich bezeichneter und mit einer bestimmten höheren Strafe bedrohter Ver-
brechen die Auslieferung gefordert und übernommen und haben auch Portugal und
Spanien in ihren resp. Verträgen mit Schweden und Frankreich sich auf namentlich
angeführte Verbrechen beschränkt. Im Vertrage Rußlands mit Chiwa v. 12. Aug.
1873 verpflichtete sich indeß letzteres jeden Verbrecher aus der Zahl der russischen
Unterthanen, der in das Chanat geflohen, der nächsten russischen Autorität zu
überliefern. Belgien hat schon in früheren Dezennien Auslieferung auch wegen
Münzfälschung und falschen Zeugnisses, so z. B. im Vertrage mit Frankreich (1834),
übernommen, wegen Prellerei und Erpressung in Verträgen mit verschiedenen
Deutschen Staaten 1836, 1845 und 1846. Frankreichs Verträge enthalten
gleichfalls schon in früherer Zeit weitergehende und mit den Belgischen Verträgen
im Wesentlichen übereinstimmende Bestimmungen. Es lieferte aus im Vertrage
mit Königr. Sachsen (1850) auch wegen abus de confiance domestique, im Ver-
trage mit dem Kirchenstaat (1859) aber auch wegen Entmannung, Abtreibung der
Leibesfrucht, Schläge, absichtlicher Verwundung. Italienischen Verträgen ist die
frühzeitige Hineinziehung einer größeren Zahl von Fleischesverbrechen eigenthümlich.
Am weitesten gingen aber Oesterreich und der Kirchenstaat, indem sie einander
Auslieferung in Gemäßbeit ihrer resp. derzeitigen und zukünftigen Gesetzgebung zu-
sagten. Daß Deutsche und Italienische Staaten unter einander frühzeitig und
weiter gehende Verträge abschlossen, erklärt sich aus gemeinschaftlicher Nationalität,
als stärkeres Band hat sich aber auch hier die engere politische Zusammengehörigkeit
erwiesen. Indeß bedingt die Konstitution der Vereinigten Staaten von Nord-
amerika art. IV. Sect. 2 nur für Verrath, Felonie oder ein anderes hohes Ver-
gehen Auslieferung, also nicht wegen niederer, jedenfalls aber für politische, wo-
gegen die Schweizerische Verfassung von 1848 Art. 50 diese gerade ausschließt und
die vom 29. Mai 1874 Art. 67 noch Preßvergehen hinzufügt, während wiederum
der Deutsche Bund sie wiederholt: 5. Juli 1832, 18. Aug. 1836 u. 26. Januar
1856, beschloß. Der Norddeutsche Bund vereinbarte ein besonderes Gesetz zur
Gewährung der Rechtshülfe am 21. Juni 1869 (B. G. Bl. 1869, S. 305), welches
vom 1. Juli 1871 im Deutschen Reich (v. Holtzendorff, Jahrb. I. 207) und am
11. Dezbr. 1871 auch in Elsaß-Lothringen (R.G.Bl. 1871, S. 448) wirksam ge-
worden, nachdem schon früher Baden am 14. Jan. 1870 (B.G. Bl. 1870, S. 67
bis 77) und Großh. Hessen am 18. März 1870 (B.G.Bl. S. 607—617) Verträge
mit dem Norddeutschen Bunde auf Grundlage jenes Gesetzes geschlossen. Der zweite
Abschnitt dieses Gesetzes behandelt „die Rechtshülfe in Strafsachen"“. Danach kann
die Auslieferung von einem Bundesstaat verlangt werden, wenn die strafbare
Handlung in dem Gebiete des Bundesstaates des requirirenden Gerichtes verübt
wurde (§ 21): die auszulieiernde Person kann dann selbst dem requirirten Staate