Auslieferungsverträge. 201
angehören (§5 23), und fie wird nur dann nicht ausgeliefert, wenn in dem requi-
rirten Staate in Ansehung der strafbaren Handlung ein Gerichtsstand begründet
und das Strafverfahren früher als in dem requirirenden Staate anhängig geworden
ist (§ 24). Die Auslieferung wegen politischer Verbrechen oder Vergehen sistirte
das ursprünglich Norddeutsche Bundesgesetz nur bis zum Erlaß eines gemeinsamen
Straf GB. (5 25). Da ein solches nun für den Norddeutschen Bund vom 1. Jan.
1871 und für das Deutsche Reich vom 1. Jan. 1872 in Kraft getreten, so ist für
das Deutsche Reich die Auslieferung für politische Verbrechen und Vergehen nun-
mehr bindendes Gesetz. In Verträgen fremder Staaten mit einander ist die Aus-
lieferung politischer Verbrecher früher zugestanden worden von Preußen, Oesterreich
und Rußland in ihrer Konvention von 1834 für ihre ehemaligen Polnischen Landes-
theile, von der Schweiz in Verträgen mit Baden (1808 und 1820), mit Oester-
reich (1828) und Frankreich (1828). Heute wird außer bei den vorher gedachten
engeren Staatenverbindungen wol ausnahmslos eine Auslieferung wegen eines
eigentlichen und blos politischen Verbrechens nicht weiter gewährt und sind die
früheren widersprechenden Vertragsbestimmungen als aufgehoben zu betrachten.
Dagegen weisen die neueren Verträge einige Kautelen rücksichtlich vermeintlicher
politischer Verbrechen auf. Nach Rußlands Vertrage mit Belgien (Art. 11) soll
als ein politisches Verbrechen oder als eine mit diesem in Verbindung stehende
Handlung nicht angesehen werden ein Attentat auf die Person eines ausländischen
Herrschers oder auf die Glieder seines Hauses, wenn dasselbe einen Mordanschlag
oder einen Vergiftungsversuch in sich schließt. Die Verträge Rußlands mit Hessen
und Bayern finden es (Art. 6) selbstverständlich, daß unter einem politischen Ver-
gehen nicht ein Attentat gegen die Person eines ausländischen Herrschers verstanden
werden kann, wenn durch dasselbe Tod oder schwere Verwundung oder Krankheit
verursacht wird. Der Vertrag mit Hessen hat auch die Glieder des Herrscherhaufes
einbegriffen. Auch der Vertrag Schwedens mit Frankreich (Art. 7) erklärt für kein
politisches Verbrechen, noch als ein damit verbundenes das Attentat gegen die
Person eines fremden Herrschers oder gegen die Mitglieder seiner Familie, wenn
dieses Attentat in sich schließt einen Mord oder Vergiftung oder den Versuch
beider. Dagegen kann nach dem Vertrage Rußlands mit der Schweiz (1873) ein
politischer Verbrecher für keine Handlung verfolgt werden, welche in Verbindung
mit einem solchen Verbrechen steht (Art. 8). — Nach dem Vertrage Englands mit
dem Deutschen Reich aber (Art. 6) soll die Auslieferung auch dann nicht erfolgen,
wenn der Auszuliefernde beweisen kann, daß der Antrag auf seine Auslieferung in
Wirklichkeit mit der Absicht gestellt wurde, ihn wegen eines Verbrechens oder Ver-
gehens politischer Natur zu verfolgen oder zu bestrafen.
In verschiedenen Belgischen Verträgen wird das Recht vorbehalten, auch wegen
stipulirter Verbrechen aus Rücksichten der Billigkeit und Menschlichkeit nicht aus-
zuliefern. Nach dem Vertrage Schwedens mit Italien ist das vorbehalten für
spezielle und außerordentliche Fälle, indeß müssen die Motive der Auslieferungs-
weigerung angegeben werden. ·
Nach einigen Verträgen (Englisch-deutschen, Belgisch-norddeutschen, Russisch-
belgischen, Russisch-dänischen, Italienisch-schwedischen, Oesterreichisch-schwedischen)
kann die Auslieferung nur wegen einer auf dem Gebiet des requirirenden Staates
begangenen strafbaren Handlung erfolgen; nach anderen Verträgen schon wegen
einer außerhalb des Gebiets des requirirenden Staates verübten (Russisch-italieni-
schen, Ruffisch-bayerischen und Russisch-hessischen), nach noch anderen wegen der von
den Behörden des requirirten Staates bereits verfolgten oder verurtheilten Ver-
brechen (Deutsch-italienischen, Belgisch -bayerischen, Belgisch--schwedischen, Franzö-
sisch-preußischen, Zspanischen und sschwedischen Verträgen). Die Praxis der Staaten
ist demnach in diesem Punkte eine verschiedene, aber freilich nur dann, wenn nicht
die Gerichtsunterthänigkeit schon die Folge der Gebietshoheit ist, was doch in allen