Baurecht. 239
gebenden Belästigung aber fragt es sich, ob nach der angeführten Gesetzesstelle aus-
zugehen ist von dem Recht des Eigenthümers, auf seinem Grund und Boden zu
thun, was er mag, oder von dem Recht des Nachbars, jede Einwirkung auf sein
Eigenthum zu verbieten, mit anderen Worten: ist nach der angeführten 1. 8. civil-
rechtlich der Eigenthümer in seinem natürlichen Recht zu beliebiger Benutzung
seines Eigenthums —, oder der Nachbar in seinem natürlichen Recht, jede Störung
seines Besitzstandes abzuwehren, beschränkt? Vgll. Windscheid, Pand., § 169,
Nr. 6 u. 7; Ihering, Jahrbb. für Dogm., Bd. VI. S. 81 ff. — Hinsichtlich des
Verfahrens in Bausachen geht das Röm. R. von dem Grundsatz aus, daß die
Obrigkeit in Privatbauten, d. i. in Bauten, welche nicht auf öffentlichem, sondern
auf eigenem Grund und Boden des Bauenden ausgeführt werden, sich nicht einzu-
mischen habe. Nur wer in loco publico (D. 43, 8) baut, bedarf einer obrigkeit-
lichen Konzession, gegen den unberechtigt Bauenden hat jeder an der Benutzung des
locus publicus Interessirte ein Verbietungsrecht, und, wenn gegen das Verbot mit
dem Bau fortgefahren wird, einen Anspruch auf Wiederherstellung des früheren
Zustandes. Gegen Bauunternehmungen auf Privateigenthum wird nur auf An-
rufen dessen eingeschritten, welcher dadurch sein Recht oder Interesse benachtheiligt
glaubt; die in Betracht kommenden Rechtsmittel sind einerseits die operis novi
nuntiatio (D. 39, 1) und das interdictum qucd vi aut clam (D. 43, 24),
andererseits der Anspruch auf die cautio damni infecti (D. 39, 2). Die beiden
ersteren Rechtsmittel bezwecken die Verhinderung, bzw. Beseitigung eines Baues
(überhaupt eines opus in solo factum), das letztere Sicherstellung vor Schaden aus
einem Bau, an dessen Ausführung oder Fortbestand der Eigenthümer nicht ge-
hindert werden kann. Ueber die op. novi nunt. und das interd. quod vi aut clam
vgl. Stölzel, Die Lehre von der operis novi nuntiatio und dem interdictum
qduod vi aut clam (1865); Hesse, Die Rechtsverhältnisse zwischen Grundstücks-
nachbarn, 1. u. II. (1859, 1861); Sintenis, Civilrecht, II. S. 745—754;
Bangerow, Pand., §§ 676, 677; Windscheid, Pand., §§ 465, 466. — Ueber
die cautio damni infecti: Hesse, Die cautio damni inkecti (1841); Derfelbe, Die
Rechtsverhältnisse 2c. I.; Sintenis, II. 784—790; Vangerow, § 678; Wind-
scheid, § 458. Alle drei Rechtsmittel finden auch statt bei einem Bau in loco
publico; handelt es sich um einen Bau in loco privato, so ist zu bemerken: die
op. novi nunt. (Einspruch) kann unbestrittener Maßen nur erhoben werden von
Demjenigen, welcher ein Verbietungsrecht gegen Errichtung oder Niederreißung eines
Gebäudes behauptet; sie ist kein richterlicher oder überhaupt amtlicher, sondern ein
privater Akt, verpflichtet aber den Unternehmer, bis zur Aufhebung des Einspruchs
durch den Richter (remissio nuntiationis, D. 43, 25) seine Thätigkeit einzustellen,
widrigenfalls ohne Rücksicht auf das materielle Recht der Einsprechende die Wieder-
herstellung des früheren Zustandes erzwingen kann (interdictum demolitorium, 1. 20
pr. D. 39, 1); die Aufhebung des Einspruchs kann aber der Unternehmer dadurch
erwirken, daß er den Richter um Ertheilung einer kurzen Frist an den Einsprecher
zur Anbringung der Klage angeht, mit deren fruchtlosem Ablauf der auf das
Werk gelegte Bann von selbst aufhört; insofern fällt in Folge der op. novi nunt.
die Klägerrolle auf den Einsprecher, während umgekehrt durch die prohibitio —
das gleichfalls privatim, sei es durch Worte oder symbolische Handlungen (jactus
lapilli) ergehende Verbot eines Bauunternehmens (im weitesten Sinne) — der
Unternehmer genöthigt wird, sein Recht zur Vornahme der verbotenen Handlung
klagend zu verfolgen; handelt er, ehe er sein Recht dargethan oder Bürgschaft für
den Fall seines Unterliegens im Prozeß geleistet hat, dem Verbot zuwider oder —
auch ohne Verbot — im Bewußtsein, daß ihm das Recht zu dem Unternehmen
bestritten werde, so wird er durch das interdictum quod vi aut clam zur Wieder-
herstellung des früheren Zustandes genöthigt; Kontroverse: wer zu dem mit dieser
Wirkung ausgestatteten Verbot berechtigt sei, ob jeder Interessent, wie die herrschende