Beschwerde. 323
rechtes in Deutschland, stimmen in Richtung und Inhalt wesentlich überein mit
den polizeilichen Ordnungen Englands und Frankreichs in den letzten Jahrhunderten
des Mittelalters, bieten aber Besonderheiten dar, beruhend auf der Zusammen-
setzung des Reichs, welche eine andere Art der Ausführung bedingte.
Dem Styl nach sind diese Polizeiordnungen als kaiserliche Gebote an
alle „Stände und Oberkeiten“ erlassen. Da ihre Wirksamkeit aber durch eine
willige Kooperation der Stände bedingt war, so erscheinen sie in der Regel als
Verordnungen mit Zustimmung der Reichsstände, also als verfassungsmäßige Gesetze.
Die große Verschiedenheit der reichsständischen Gebiete brachte es ferner mit sich,
daß in vielen Materien nicht sowol eingehende dispositive Bestimmungen getroffen,
als vielmehr den einzelnen Reichsständen geboten wurde, „in ihren Landen die
nöthige Verfügung zu thun“ und die dem entsprechenden „Satzungen zu machen“.
Alle wichtigeren Maßregeln beruhten auf der Voraussetzung eines Ineinander-
greifens allgemeiner kaiserlicher Edikte mit besonderen, von den Reichsständen zu er-
lassenden Satzungen, sei es mit oder ohne Zustimmung der Landstände. Das daraus
entstehende Recht ist ein neues, nach Römischem Ausdruck ein ius extraordinarium,
wesentlich verschieden von dem durch die Schöffengerichte gehandhabten Recht. Es
war nicht aus dem Rechtsbewußtsein und den Gewohnheiten des Volks zu schöpfen,
sondern beruhte lediglich auf Satzungen der Obrigkeit zur Regelung ihrer eigenen
Thätigkeit zur Befriedigung neuer Bedürfnisse des öffentlichen Lebens.
In der Weise der Ausführung erscheint vorweg ein Unterschied zwischen
Polizeistrafgesetzen und Polizeiverwaltungsgesetzen, der, durch die verschiedene Natur
der Maßregeln bedingt, noch heute unserem Verwaltungsrecht zu Grunde liegt.
1) Die Polizeistrafgesetze richten sich an die Unterthanen und um-
fassen solche Maßnahmen, in denen es zur Erreichung des Zwecks ausführbar er-
scheint, bestimmte Handlungen oder Unterlassungen direkt zu gebieten oder zu ver-
bieten, sei es bei einer bestimmt benannten Strafe, sei es bei einer arbiträren, von
der Landesobrigkeit zu bestimmenden oder von den Gerichten zu bemessenden Strafe.
Die leichteren Fälle dieser Art überließ man der niederen Gerichtsbarkeit, d. h. die
Kosten des Verfahrens und die Bußen verblieben den Gerichtsobrigkeiten niederer
Ordnung in einem summarischen Verfahren. In der neueren Zeit sind diese Fälle
immer vollständiger zur Kompetenz und zu dem Verfahren der ordentlichen
Staatsgerichte gezogen und damit formell aus dem Verwaltungsrecht ausgeschieden.
2) Die Klasse der Polizeiverwaltungsgesetze dagegen umfaßt diejenigen
Klauseln der Polizeiordnungen, die sich als Gebote an die Obrigkeiten richten
und durch obrigkeitliche Befehle für den Einzelfall nach vorgängiger Untersuchung
der Sachlage zu handhaben sind. Im Englischen Sprachgebrauch heißen diese
Polizeiverfügungen orders, im Sprachgebrauch der Deutschen Reichsgerichte mandata
de non turbando, de non gravando, m. immissorialia, inhibitoria, restitutiva etc.
Zuweilen bestimmen die Reichsgesetze die Einsetzung besonderer Kommissarien oder
Kommissionen zur Ausführung solcher Anordnungen. In der Regel aber wird
durch allgemeine Ermächtigungsklauseln, „daß Stände und Obrigkeiten Fürsorge
thun sollen“, den einzelnen Landesobrigkeiten die weitere Ausführung überlassen.
Als ausführende Organe dieses Polizeiverwaltungsrechts kommen nach
der Zusammensetzung des Reichs in Betracht: die einzelnen Landesobrigkeiten, pro-
vinzielle Organe (Kreisstände), unmittelbare Reichsbehörden (die Reichsgerichte),
von welchen zunächst die letzteren in Betracht zu ziehen sind.
Für den Landfrieden, die Religionsfrieden und alle wichtigeren Polizeigesetze
haben „Kaiser und Stände“ eine Ueberwachung der Ausführung sich vorbehalten.
Da es dabei sowol auf thatsächliche wie rechtliche Voraussetzungen ankommt, so
sind die laufenden Funktionen den Reichsgerichten übertragen. Diese Behörden
fungiren aber im Gebiet des Polizeirechts (ebenso wie in England) als Organe
der vollziehenden Gewalt im Namen des „Kaisers". Folgeweise werden diese
polizeilichen Erlasse nicht im ordentlichen Prozeßverfahren, sondern durch neuge-
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