Full text: Rechtslexikon. Erster Band. Aagesen - Fungible Sachen. (2.1)

422 Briefwechsel im Vertragsschluß. 
Eröffnen verschlossener Briefe oder Urkunden. Ob nur für den Fall, wo die 
Handlung in der Absicht erfolgt, von dem Inhalte Kenntniß zu nehmen (s. oben), 
ist kontrovers (vgl. Meyer gegen Oppenhoff und Rüdorffy). Die Frage, 
ob der Ehemann befugt sei, die Briefe seiner Frau zu eröffnen, ist in der Preuß. 
Rechtsprechung (wol nicht mit Grund) bejaht worden. — Das bloße unbefugte 
Lesen oder Abschreiben, welches mehrfach (Sachsen, Bayern) dem Erbrechen gleich- 
gestellt worden ist, findet sich im RStraf GB. nicht bedroht. — Die Verfolgung 
tritt nach dem RStraf GB. (vgl. Oesterreich) nur auf Antrag ein. — Das Unter- 
drücken von Briefen wird in dieser zweiten Richtung vom RStrafGB. nur unter 
der Voraussetzung des 8 274, d. i. wenn die Briefe Urkundenqualität haben und 
die Handlung in der sicht erfolgt, einem Andern Vachtheile zuzufügen gestraft. 
Gsgb. u. Lit.: Straf GB. §§ 299, 354. — StrafPO. §§ 99 ff. — 81 
Hesterreich. Ges. v. 7. April 1870 zum Schutze des Brief= und ———7 — 
Belgien 160, 169. — Frankreich 187. — Preuß. Verf. Urk., Art. 33. — Oesterr. Staats- 
grundgesetz v. 21. Dezember 1867, Art. 10. — Belgische Konstitution, Art. 22. — Oesterr. 
Straser- 5 126 ff. — v. Holtzendorff, Hdb. des deutsch. Strafr., Bdd. III. S. 844, 1002 ff. 
Meves). Merkel. 
Briefwechsel im Vertragsschluß. Wenn die zwischen zwei Personen ge- 
wechselten Briefe die Willensübereinstimmung derselben ausdrücken, so haben sie zu- 
sammen für die Verfasser die gleiche Rechtswirkung, wie eine von ihnen gemeinsam 
errichtete Vertragsurkunde (1. 57 D. de don. int. vir. 24, 1. § 142 A. LR. I. 5). 
Dabei wird das Eigenthum jedes Briefes dem Adressaten erst mit der Ablieferung 
an denselben oder an den von ihm beauftragten Boten erworben (I. 65 pr. D. de 
acd. rer. dom. 41, 1). Ebenso entspringt aus der in dem Briefe abgegebenen 
Willenserklärung ein Recht für den Adressaten grundsätzlich erst dann, wenn er den 
Brief empfangen und von seinem Inhalt Kenntniß genommen hat. Bis dahin 
kann der Absender sie durch einen gleichzeitig eintreffenden Widerruf entkräften 
(I. 38 D. de acq. poss. 41, 2). Hiernach entscheidet sich der Streit, ob die Per- 
fektion des Vertrages erst mit der vom Offerenten erlangten Kenntniß des Accept- 
briefes oder schon früher eintrete, im Sinne der ersteren Alternative. Dies ist die 
sogenannte Vernehmungstheorie (Bekker, Regelsberger, Dernburg, Brinz 
u. a. m.), welcher nahe steht die neuerdings aufgestellte sogenannte Empfangs- 
theorie (Scheurl, Schott u. a. m.), während nach Anderen schon die Accepta= 
tionserklärung oder doch deren Absendung an den Offerenten den Vertrag perfekt 
machen soll (Aeußerungstheorie, von Thöl, Dahn, Puchta u. a. m.). Zuzu- 
geben ist diesen anderen Theorien, daß der Offerent als Acceptationsakt statt einer 
ihm zu ertheilenden Antwort auch eine vom Propositar sofort zu vollziehende 
Handlung setzen, und dann durch diese der Vertrag zur Perfektion kommen könne. 
Dies betonen besonders Sohm, Karlowa u. a. m. Eigene Theorien haben 
ausgestellt Windscheid, Köppen u. a. m. Weiteres f. in dem Art. Offerte. 
Das Preußische und das Handels-Gesetzbuch ergänzen die Vernehmungstheorie durch 
positive Bestimmungen. Nach Preuß. R. ist der Absender eines schriftlichen Antrages, 
wenn der Adressat an demselben Orte wohnt, 24 Stunden lang, wenn außerhalb, 
bis zum Eintreffen der zweiten Post, welche Antwort bringen kann, an seinen An- 
trag gebunden (5§ 95—98 A. R. I. 5); nach dem HG#. Art. 319 allgemein 
bis zu dem Zeitpunkt, in welchem er bei ordnungsmäßiger rechtzeitiger Absendung 
der Antwort deren Eingang erwarten darf. Geht die rechtzeitig abgegebene An- 
nahme-Erklärung zufällig verspätet ein, so muß der Antragsteller seinen Rücktritt 
sofort kundgeben, widrigenfalls nach Preuß. R. (§ 105) er schadenersatzpflichtig, 
nach Handelsrecht aber (Art. 319) der. Vertrag perfekt ist. 
Neueste Lit.: H. Schott, D%% obligatorische. Vertrag unter Abwesenden, Heidelb. 
1873. — Sohm in Goldicmdte, Zeitschr. für H. RN. XVII. S. 16—107. — Karlowa, 
Das Rechtsgeschäft 1877, S. 17—30. — Kühn, Jahrb. für Dogm. XVI. S. 1—90. — 
Marsson, Die Natur der Vertragsofferte, Inaug. Diss., Greifsw. 1879. Eck.
	        
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