Erziehungsanstalten. 751
zur Unterbringung verpflichtet derjenige Kommunalverband, in dessen Gebiete das
beschließende Vormundschaftsgericht seinen Sitz hat. Letzteres giebt seinen Beschluß
(mit den Akten; Reskript des Justizministeriums vom 28. Oktober 1878) durch
Vermittlung des Landraths 2c. an den betreffenden Kommunalverband ab. Die
Kosten, welche durch Einführung in die Familie oder Anstalt und die dabei nöthige
reglementmäßige erste Ausstattung des Zöglings und durch die Rückreise des Ent-
lassenen erwachsen, fallen dem Ortsarmenverbande, in welchem der Zögling seinen
Unterstützungswohnsitz hat, alle übrigen Kosten des Unterhalts und der Erziehung
sowie der Fürsorge bei der Beendigung der Zwangserziehung den Provinzial= bzw.
Kommunalverbänden zur Last, soweit sie nicht aus dem eigenen Vermögen des Zög-
lings getragen oder von den aus privatrechtlichen Titeln zur Alimentation Ver-
pflichteten eingezogen werden können. Die Verbände erhalten hierzu einen Zuschuß
nach der Hälfte der ihnen obliegenden Ausgaben, dessen Betrag entweder im Ein-
verständniß mit den einzelnen Verbänden periodisch als Pauschsumme oder, soweit
ein Einverständniß nicht erreicht ist, jährlich auf die Liquidation der im Vorjahre
aufgewendeten Kosten vom Ministerium des Innern festgestellt wird. Auch von
den privatrechtlich Verpflichteten werden die Kosten für Unterbringung in Anstalten
nach Pauschsätzen erhoben. 4) Die Zwangserziehung hört regelmäßig mit dem
vollendeten 16. Lebensjahre des Zöglings auf; doch ist Ausdehnung bis zum
18. Jahre zulässig, wenn dies zur Erreichung des Zwecks der Zwangserziehung er-
forderlich erscheint (Beschluß des Vormundschaftsgerichts auf Antrag des verpflich-
teten Kommunalverbands). Außerdem ist die Entlassung aus der Zwangserziehung
von dem Kommunalverbande zu beschließen, sobald der Zweck des letzteren erreicht
oder die Erreichung des Zweckes anderweit sichergestellt ist. Nach Befinden wider-
rufliche Entschließung. Bei Antrag der Eltern rc. auf Entlassung gegen abwei-
senden Beschluß des Vormundschaftsgerichts Beschwerde wie oben; der abgewiesene
Antrag darf vor Ablauf von 6 Monaten nicht erneuert werden. Die Kommunal-=
verbände haben nöthigenfalls noch für ein angemessenes Unterkommen nach Been-
digung der Zwangserziehung zu sorgen. — Das vorgedachte Gesetz erschöpft nicht
die Aufgabe der Erziehungs= und Besserungsanstalten. Insbesondere kommen solche
noch in Betracht zur Unterbringung: a) von jugendlichen Verbrechern, welche im
Alter zwischen 12 und 18 Jahren eine strafbare Handlung begingen, ohne die zur
Erkenntniß ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht zu besitzen. Solchenfalls ist im
richterlichen Urtheile zu bestimmen, ob der Angeschuldigte seiner Familie überwiesen
oder in eine Erziehungs= oder Besserungsanstalt gebracht werden soll (letzternfalls
kann auch Unterbringung in einer geeigneten Familie eintreten: Kabinetsordre vom
4. Dezbr. 1852; auch ist Beurlaubung auf Widerruf unter Umständen angezeigt,
Preuß. Min. Verf. vom 30. Oktbr. 1879). In der Anstalt ist er so lange zu be-
halten, als die derselben vorgesetzte Verwaltungsbehörde solches für erforderlich er-
achtet, jedoch (mit Rücksicht auf die Militärpflicht) nicht über das vollendete
20. Lebensjahr (RStraf GB. § 56; siehe hierzu Bayerischer Erlaß vom 31. Dezember
1871; Württembergische Verfügung des Ministeriums des Innern vom 18. Januar
1872, Reg. Bl. S. 18; ebenso Oesterreichisches Gesetz 3 17; Code penal art. 66,
wonach die Strafunmündigkeit jedoch schon mit dem 16. Jahre endet; Englische
reformatory schools act vom 10. August 1866, 29 & 30 Vict. c. 117 gestattet
richterliche Verfügung auf 2—5jährige Unterbringung in eine Besserungsanstalt
für jugendliche Verbrecher unter 16 Jahren). b) von Kindern und jugendlichen
Personen, bei denen ohne die Voraussetzung einer verübten strafbaren Handlung
(z. B. wegen Hanges des Kindes zum Entlaufen, wegen Trunksucht der Eltern
u. dgl.), die Entnahme aus der elterlichen Pflege und die Unterbringung in einer
geeigneten Familie oder in einer Erziehungs= oder Besserungsanstalt (Rettungshaus!)
im öffentlichen Interesse angezeigt erscheint (Preuß. Gesetz § 10; Oesterr. Gesetz
vom 10. Mai 1873, R.G.Bl. Nr. 108, § 19; Württemb. Polizeistrafgesetz Art. 12