Explorationsverfahren. 761
achten damals mehr philosophische Abhandlungen als medizinische Expertisen und
mehr geeignet zu verwirren, als aufzuklären. Der veränderte und fortgeschrittene
Standpunkt gerichtlich psychiatrischer Wissenschaft läßt Zweifel über ihre Berechtigung
in. foro gehört zu werden, heutzutage nicht mehr aufkommen. Ihre Bedeutung
und Nützlichkeit können nur dadurch geschmälert werden, daß ihre Vertreter vielfach
nur formal, aber nicht wirklich Sachverständige sind oder ungünstige äußere Be-
dingungen den Erfolg der ärztlichen Untersuchung beeinträchtigen. Der praktische
Erfolg einer Wissenschaft ist wesentlich abhängig von einer richtigen Anwendung
ihrer Grundsätze.
Die psychischen Krankheiten sind Hirnkrankheiten. Die Methode ihrer Be-
obachtung und Beurtheilung kann nur eine naturwissenschaftliche sein. Aber auch
die günstigen äußeren Bedingungen der Beobachtung dürfen nicht fehlen.
Die allgemeinen Regeln und Bedingungen der Untersuchung hat eine Dar-
legung des ärztlichen E. festzustellen.
Der ärztliche Sachverständige, dem die Ermittlung eines zweifelhaften Geistes-
zustandes zukommt, ist weder Zeuge noch Gehülfe des Richters. Nicht Zurechnungs-
fähigkeit oder Dispositionsfähigkeit, sondern Feststellung der Geistes-Gesundheit oder
r' durch eine wissenschaftliche Untersuchung ist seine Aufgabe (Mitter-
maier).
Als subjektive Erfordernisse für eine befriedigende Expertise ergeben sich zu-
nächst die eigentlich selbstverständliche, aber im konkreten Fall keineswegs immer vor-
handene psychiatrische Bildung des Experten. Nur das längere Studium der Pfy-
chiatrie in der Irrenanstalt oder psychiatrischen Klinik vermag jene zu verschaffen.
Theoretisches Studium reicht bei einer so eminent praktischen und auf Beobach-
N begründeten Wissenschaft, wie sie die gerichtliche Psychopathologie darstellt,
nicht aus.
Die Wahl des oder der Sachverständigen steht dem Richter zu (Deutsche
CPO. 8§ 369, Deutsche StrafPp O. § 73). Billigerweise sollte das Recht, Sach-
verständige vorzuschlagen, auch der Vertheidigung zukommen. In Oesterreich müssen
es zwei Experten sein, in Deutschland kann einer genügen.
Als objektive Erfordernisse ergeben sich genügende Zeit, passender Ort und
ausreichende Mittel für die Ermittlung des zweifelhaften Geisteszustands.
Die Forderung ausreichender Zeit ergiebt sich aus der meist erforder-
lichen Umfänglichkeit der Vorerhebungen über die Person des Exploranden, die in
der Regel in ungenügender Weise auf dessen Leumund und etwaige Vorbestrafungen
sich beschränken und die anthropologische Seite der Persönlichkeit unerörtert ließen.
Ferner aus der Häufigkeit zeitweiser Latenz des Irrseins, der periodischen Wiederkehr
von Anfällen, der Möglichkeit der Simulation, Dissimulation 2c. Es können
Monate erforderlich sein, bis der Experte im Stande ist, ein entscheidendes Gut-
achten abzugeben. Nur selten und bei gut charakterisirten Formen von Irrsinn
wird ein solches prima vista möglich sein.
Nicht minder wichtig erscheint ein passender Ort der Beobachtung. In
schwierigeren Fällen, überhaupt da, wo eine unausgesetzte Beobachtung (Simulation,
Dissimulation, Ermittlung epileptischer Anfälle) und zwar durch Geübte erforderlich
ist, wird die Abgabe in ein Hospital oder eine Irrenanstalt nicht zu umgehen
sein. Die Deutsche StrafPO. § 81 gestattet die letztere Maßregel, beschränkt aber
die Dauer der Verwahrung in der Anstalt auf 6 Wochen. Die Erfahrung muß
lehren, ob in allen Fällen eine solche Beobachtungsfrist ausreicht.
Die Hülfsmittel zur Beobachtung des Geisteszustands ergeben sich aus dem
Studium der Akten und der direkten Exploration des Beschuldigten.
Es versteht sich heutzutage von selbst, und ist auch in der Deutschen Straf PO.
8 80 ausdrücklich bestimmt, daß der Richter dem Experten in seiner oft so schwie-
rigen Aufgabe thunlichen Vorschub leiste, ihm alles bisherige Aktenmaterial zur