Full text: Rechtslexikon. Erster Band. Aagesen - Fungible Sachen. (2.1)

798 Familienstand. 
der Englischen Republik zur Einführung polizeilicher Standesregister (anno 1653) 
blieb ohne Folgen. Auch in Deutschland hat die Reformation die ältere Grund- 
auffassung der Kirchenbücher als einer rein kirchlichen Einrichtung noch nicht geändert. 
Eine zweite Entwicklungsstufe kann als die Führung der Kirchen- 
bücher unter gesetzlicher Normativbestimmung bezeichnet werden. Sie 
beginnt verhältnißmäßig früh in Frankreich mit den Ordonnances Villers Coteret 
von 1539 und späteren königlichen Verordnungen, denen freilich eine genügende 
Kontrole der Ausführung fehlte, so daß der Ausbruch der Revolution später einen 
nichts weniger als musterhaften Zustand vorfand. In England ergingen seit 
Wilhelm III. und unter Georg III. verschiedene Statuten, welche Taufen, Trauungen 
und Beerdigungen mit einer Stempelabgabe belegen und nur zu diesem Zweck einer 
staatlichen Kontrole unterwerfen. Erst im Jahr 1812 wurde durch Sir Rose's 
Statute 52. Geo. III. c. 146 eine ausführliche Ordnung für die Führung und Auf- 
bewahrung der Kirchenbücher und die Zusammenstellung von Gesammtbverzeichnissen 
bei der bischöflichen Behörde vorgeschrieben. Die Ausführung ist indessen wegen 
Mangels staatlicher Kontrole überaus unzuverlässig geblieben. In Deutschland 
konnte nach Lage der staatlichen Verhältnisse nur eine partikulare Einwirkung der 
weltlichen Obrigkeit eintreten. Wir finden nach dem Reformationszeitalter zunächst 
in den Städten das Bestreben, unter Einwirkung des Raths den Geburts= und 
Todtenregistern eine geregeltere Gestalt zu geben, unverkennbar in Folge des stärkeren 
Bedürfnisses beweisender Urkunden für das Gemeindebürgerrecht und für die städti- 
schen Erbverhältnisse. Die eigentliche Territorialgesetzgebung beginnt aber erst um 
die Mitte des 18. Jahrhunderts. Vom Standpunkt des Wohlfahrts- 
staats aus und im Interesse der Feststellung der Bevölkerungszahl wird eine Ver- 
pflichtung zur regelmäßigen Führung solcher Register für alle Konfessionen aus- 
gesprochen, deren Inhalt näher vorgeschrieben und eine staatliche Oberaufsicht über 
die Führung derselben eingeführt. Ein Muster dieser Gesetzgebung bietet Oester- 
reich in dem Dekret vom 10. Mai 1774 und in dem Patent vom 20. Febr. 1784. 
Die Register (Matriken) werden bei Katholiken wie bei anderen Konfessionen von 
den Geistlichen geführt, unter Aufsicht geistlicher Behörden, Das Gesetz schreibt aber 
die Rubriken und die Art und Weise der Eintragung nach gleichen Formularen 
vor, welche als foliirte und besiegelte Kirchenbücher von der weltlichen Bezirks- 
behörde den Geistlichen ausgehändigt werden. Die weltliche Oberbehörde beansprucht 
ein Recht der Kenntnißnahme und Kontrole über die gesetzmäßige Eintragung. 
Durch die spätere Gesetzgebung ist auch die Anfertigung von Abschriften und das 
Formular der Jahrestabellen und Summarien näher bestimmt. Die Preuß. 
Gesetzgebung giebt nur unvollständige Normativbestimmungen, beschränkt auf die 
vom Staate anerkannten Konfessionen, deren Kirchenbücher allein den öffentlichen 
Glauben zu beanspruchen haben. Für die Dissidenten führt erst das Patent vom 
30. März 1847 eine gerichtliche Beglaubigung der Register ein, für die Juden die 
Verordnung vom 23. Juli 1847 eine gerichtliche Führung der Register. In der 
Rheinprovinz blieb die Franz. Gesetzgebung über diese Materie in Kraft. Unverkennbar 
war es das Widerstreben gegen Einführung der Civilehe, welches die Mehrzahl der 
Deutschen Gesetzgebungen auf diesem halben Wege stehen bleiben ließ. 
Die dritte Entwicklungsstufe, die Einführung vollständiger, überall 
gleicher Civilstandsregister unter alleiniger Autorität der Staatsgewalt, 
beginnt seit 1791 in Frankreich. Es war ein Nothstand, der völlige Umsturz der 
historischen Kirchenverfassung, welcher in dem Gesetz vom 20. Septbr. 1791, — 
später erweitert in dem Gesetz vom 28. Pluviose an VIII., — durchgreifend die 
Führung der Standesregister den Gemeindevorständen übertrug. Der Maire führt 
solche im Staatsauftrag als officier de P’état eivil. Die Eintragung ist obligatorisch 
unter strengen Strafbestimmungen für unterlassene Anzeige und unrichtige Eintragung. 
Sie gilt nicht mehr als Beglaubigung eines kirchlichen Akts, sondern als selbst-
	        
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