Full text: Rechtslexikon. Dritter Band. Zweite Hälfte. Stolgebühren - Zypaeus. (2.3.2)

Zurechnung. 1451 
Wollen wir auf der Grundlage der eben dargestellten Anschauung nun eine 
Uebersicht über die Gründe der Z.unfähigkeit geben, so müssen wir davon ausgehen, 
daß die Z. wegfällt, wenn einer ihrer beiden Faktoren, die Einsicht oder die 
Selbstbestimmungsfähigkeit, fehlt. Jene Einsicht aber wird, wo es sich von 
strafrechtlicher Z. handelt, näher festzustellen sein als die Einsicht in die Straf- 
würdigkeit eines Handelns. Also nicht nothwendig Einsicht in die Strafbar- 
keit, d. h. das Bewußtsein, daß die Handlung den Strafgesetzen des Staates zu- 
widerlaufe, aber doch die Erkenntniß daß die Handlung eine Uebelthat sei, welche 
Strafe verdiene. Ja noch genauer gesagt: die Möglichkeit dieser Erkenntniß 
ist hinreichend, um Schuld zu begründen. Wer die Strafwürdigkeit seiner Handlung 
einzusehen im Stande war, die hierzu erforderliche psychische Reife besaß, war ver- 
pflichtet, diese Einsicht in sich zu erwecken und mit ihr dem zur Handlung drängen- 
den Wollen entgegenzutreten. Wo jene Möglichkeit der Einsicht mangelt, fällt die 
Schuld weg, denn wer nicht im Stande ist zu erkennen, was seine Pflicht fordert, 
kann keine Schuld auf sich laden, wenn er das für ihn nicht erkennbare Gebot (oder 
Verbot) verletzt. 
Hiernach also zerfallen die Gründe der Z. unfähigkeit in folgende Hauptgruppen: 
1) Mangelhafte psychische Entwickelung, in Folge welcher entweder die 
Möglichkeit der Erkenntniß der Strafwürdigkeit oder die Kraft der Selbstbestimmungs- 
fähigkeit fehlt. Hierher gehören die Zustände der Kindheit, des angeborenen 
Blödsinns (Idiotismus), der sog. völligen Wildheit, auch der Zustand eines 
ununterrichteten Taubstummen. 2) Störung (oder Zerstörung) bereits vor- 
handener Z.fähigkeit, welche wieder auftritt a) als eine vorübergehende in den 
Schlafzuständen, in der Berauschung, in heftigen Gemüthsbewegungen 
und in vorübergehenden Anfällen von Geisteskrankheit, b) als dauernde — 
wohin dauernde Geisteskrankheit gehört. 
Neben diesen Zuständen können aber jene nicht außer Betracht bleiben, welche 
verminderte Z. begründen. Was man auch vom formalistischen logischen Stand- 
punkt — wie er namentlich bei den Juristen beliebt ist — gegen den Begriff der 
verminderten Z. einwenden mag, die Wirklichkeit solcher Zustände läßt sich damit 
nicht wegdisputiren und wird auch fast allgemein von medizinischer (psychiatrischer) 
Seite anerkannt. Ist schon die Z fähigkeit überhaupt, wie wir gesehen haben, etwas 
relatives, individuelles, bei demselben Individuum wechfelndes, so kann man ebenso- 
wenig das Bestehen einer Kluft zwischen voller Z.fähigkeit und gänzlicher Z.unfähig- 
keit zugeben. Hier wie bei allen Seelenzuständen findet vielmehr ein unmerkliches 
Uebergehen von dem einen zum anderen statt. Klar ist dies vor Allem bei den 
krankhaften Geisteszuständen. Zwischen der normalen Geistesgesundheit und der 
eigentlichen Geisteskrankheit giebt es eine Anzahl von Zwischenzuständen der Reiz- 
barkeit und Ueberreiztheit, welche man nicht ignoriren darf. „Wenn die Krankheit 
selbst besonnenes Handeln unmöglich macht, so wird dieses durch die hochgradige 
Diathese, die abnorme Konstitution des Nervensystems, erschwert. Soll darauf 
gar keine Rücksicht genommen werden? .... Wir rechnen im gewöhnlichen sozialen 
Leben-Anderen das, was sie etwa gegen uns gefehlt haben, bald in höherem, bald 
in geringerem Grade zu .. .. warum denn nicht in der richterlichen Sphäre?“ 
(Hagen.) Aber nicht nur bei krankhaften Zuständen kann geminderte Z. vorliegen, 
sondern auch bei vorübergehenden bedeutenden Störungen des Gleichgewichtszustandes 
der Vorstellungen, wie Schlaftrunkenheits-, Berauschungs-, Affektzuständen, auch 
dann, wenn dieselben nicht die Z fähigkeit vollständig aufheben. Giebt es einen 
Grad der Berauschung, welcher die Z. gänzlich ausschließt, so steht daneben ein 
nächst niedriger Grad, welcher die Selbstbestimmung nahezu unmöglich macht, und 
Jedermann muß zugeben, daß in Wirklichkeit nicht blos die beiden Gegensätze der 
vollen Nüchternheit und der vollen Berauschung vorkommen. Ebenso steht neben 
jener heftigen Gemüthserschütterung, welche die Besonnenheit und Selbstbeherrschung 
 
	        
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