Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Curtman. 439 
rerwirklichen, als wolle das goldene Zeitalter wiederkehren. Aber schon nach 
drei Jahren sangen die Dichter aus einem andern Ton, und ein großer echt 
deutscher Mann, Ludwig Uhland, dichtete zum 18. Oktober 1816 das scharfe, 
schneidige Lied: „Wenn heut ein Geist daniederstiege!“ — Und wie, meine 
Herren, wurden die verheißenen Freiheiten und Rechte in's Werk gesetzt? Durch 
cigenthümliche Institute: den Bundestag, durch die Congresse zu Verona und 
Carisbad, durch Unterdrückung der Burschenschaften, durch die schwarze Com- 
mission, durch die Fesselung der Presse und in den Dreißiger Jahren durch Con- 
sewirung aller Patrioten hinter Schloß und Riegel, so daß am Schlusse 
sener Pcriode ein Dichter und echter Patriot auf die Schlacht von Leipzig 
das Trauerlied sang: 
Was fragt ihr, Todsgenossen, 
Die ihr dort unten ruht, 
Was half es, daß geflossen 
So viel vom rothen Blut? 
Wer kann euch Antwort sagen, 
Wer künden solches Leid? 
Wohl euch, daß ihr erschlagen, 
Daß ihr erschlagen seid! 
So, meine Herren, wird es wiederum kommen, wenn nicht in Zeiten 
da Freiheit eine Gasse gebahnt wird und wenn das Recht des Volkes ver- 
dessen ble ibt, wie es Angesichts der frischen Gräber von Gravelotte und Sedan 
ragessen ist! Aber auch die äußere Macht wird nicht von Dauer sein, wenn 
sie nicht in dem Rechte eines freien Volkes ihre Stütze findet, und wir werden 
crieiden, was alle Völker alter und neuer Zeit erlitten haben, die einseitig dem 
Götzen der Macht gehuldigt: Wir werden Schaden nehmen an unseren höchsten 
Gütern, an dem moralischen, an dem geistigen Kapitale der Nation — inter 
ama silent leges, literae et artes — und es wird die Macht zerschellen an 
de Klippe der Unfreiheit! Glauben Sie nicht, meine Herren, daß das 
Träumereien, daß das Gefühlspolitik sei. Mögen auch die Machthaber hohn- 
lachen hinter ihren Bajonetten über dergleichen Gespensterseherei; es wird 
mich nicht beirren; denn es ist die Weltgeschichte, auf der ich diesen Zu- 
kunftsblick erbaut habe; es ist die Weltgeschichte, die mich gelehrt hat, es 
walte eine Vorsehung über uns, aus der das ewige Recht der Völker fließe 
und die jede Verletzung dieses Rechtes unerbittlich strafe. So ist es gewesen 
und so wird es sein. Einstens war im alten Griechenland die Unterdrückung 
der Individualität, das Aufgehen der Bürger im Staatszweck, die Mißach- 
ung des Rechtes des Einzelnen im Staate Sparta verkörpert; und mit der 
Hegemonie dieses Staates war auch der Verfall der Nation da: Wissen- 
schaften und Künste sanken, die humanen Bestrebungen stockten, und schon nach 
30 Jahren brach die äußere Macht unter den Mauern von Leultra zusam- 
men, und nach weiteren 30 Jahren erlag die griechische Freiheit dem Schwerte 
der Barbaren auf dem Feld von Chäronea. — Aber auch in neuercr Zeit
	        
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