534 Paul Heilborn.
III. Gerichtsbarkeit über das Gesandtschaftspersonal, Familie und Gefolge.
Begeht eine der im § 35 zu nennenden Personen eine strafbare Handlung im Gebiet des Emp-
fangstaats, so ist der Gesandte zur vorläufigen Festnahme und Ablieferung an den Absendestaat
berechtigt. Er kann auch den Tatbestand durch Vernehmung des Schuldigen und anderer ihm
untergebener Personen feststellen.
IV. Rangverhältnisse. Dem Range nach zerfallen die Gesandten in vier Klassen
(Wiener Reglement vom 19. März 1815 und Aachener Protokoll vom 21. November 1818,
Fleischmann 18/19): 1. Botschafter, ambassadeurs, Legaten und Nuntien; 2. Gesandte im
engeren Sinne, envoyés, bevollmächtigte Minister, Intermuntien; 3. Ministerresidenten, sofem
sie bei dem Oberhaupt des Empfangstaats beglaubigt sind; 4. Geschäftsträger, chargés d’affaires.
Zu ihnen gehören auch die nur beim Minister beglaubigten Ministerresidenten.
Diese Einteilung hat fast nur zeremonielle Bedeutung für den höfischen Verkehr. Der
Geschäftsträger wird vom Minister des Auswärtigen beim Minister des Auswärtigen beglaubigt,
während die drei ersten Klassen vom Staatshaupt beim Staatshaupt beglaubigt werden. Der
dem Botschafter zugeschriebene Repräsentativcharakter führt zu dem besonderen Vorrecht, daß
er sich unter Umgehung des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten in jeder Sache direkt
an das Oberhaupt des Empfangstaats wenden darf. Aber auch dieses Vorrecht hat nur in ab-
soluten Monarchien eigentlichen Wert.
Die verschiedenen, bei einem Staat beglaubigten Gesandten rangieren unter sich nach
Klassen, innerhalb der Klassen nach der Anciennität an dem betreffenden Platze.
Die bei einem Staate beglaubigten Gesandten bilden zusammen das „diplomatische Korps“.
Der älteste Gesandte der höchsten Rangklasse ist der Doyen, d. h. der Wortführer des diplomatischen
Korps im schriftlichen und mündlichen Verkehr; an katholischen Höfen ist jedoch der Nuntius,
nicht aber der Internuntius, stets Doyen. Das diplomatische Korps tritt gewöhnlich zu zere-
moniellen Zwecken, nur in Ausnahmefällen zu gemeinsamen diplomatischen Schritten zusammen.
V. Einen persönlichen Anspruch auf die ihm gebührenden Vorrechte erlangt der Gesandte
erst durch den Empfang (§ 31, 4). Der Absendestaat kann aber für ihn Unverletzlichkeit und
Exterritorialität vom Betreten bis zum Verlassen des Gebiets des Empfangstaats fordemm, falls
dieser nicht vorher erklärt hat, er werde den Gesandten nicht empfangen. Nur der Absendestaat
kann auf die Vorrechte verzichten, weil sie um seinetwillen dem Gesandten zustehen. Er kann
den Verzicht aber durch den Gesandten aussprechen, diesem auch die Entscheidung im einzelnen
Fall übertragen.
VI. Sehr bestritten ist das Verhältnis des Gesandten zu dritten Staaten, deren Gebiet
er auf dem Wege nach oder von dem Ort der Mission durchreist. Von der einen Seite wird
ihm hier gar kein Vorrecht, von der anderen das der Unverletzlichkeit zugeschrieben. Die letztere
Ansicht dürfte zutreffen, vorausgesetzt, daß die Durchreise nicht verboten ist, und daß es sich nur
um eine „unschuldige“ Durchreise, nicht um Aufenthalt handelt. Dafür spricht schon die Be-
handlung der Kuriere (§ 38). Vgl. das italienische Garantiegesetz vom 13. Mai 1871 Art. 11 ?.
§ 35. e) Das Gesandtschaftspersonal, Familie und Gefolge.
I. Das Gesandtschaftspersonal besteht aus den dem Gesandten zur Unter-
stützung seiner amtlichen Tätigkeit beigegebenen Personen: Gesandtschafts- bzw. Botschafts-
räte, sekretäre, diplomatische und technische Attachés, Dolmetscher, Bureaubeamte; auch Pfarrer
und Arzt, wenn sie vom Absendestaat der Mission beigegeben sind. Das Gesandtschaftspersonal
gehört zur amtlichen diplomatischen Vertretung des Absendestaats beim Empfangstaat. Mit
Ausnahme des Kapellenrechts genießt es Unverletzlichkeit und Exterritorialität wie der Ge-
sandte. Nur der Absendestaat kann darauf verzichten, aber wiederum dem Gesandten die Ent-
scheidung übertragen. Der Gesandte überreicht dem Minister des Empfangstaats eine Liste
des Gesandtschaftspersonals.
II. Die Familie des Gesandten, d. h. seine Ehefrau und die den Hausstand teilenden
nahen Verwandten. Ihnen stehen Unverletzlichkeit und Exterritorialität um der Person des
Gesandten willen zu (§ 29). Folglich kann er hier jederzeit verzichten, und endet die bevor-