Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Erster Band. (1)

Abschnitt V. Freizügigkeits-Gesetz. 317 
Die besonderen Gesetze und Privilegien einzelner Ortschaften und Bezirke, 
welche Aufenthaltsbeschränkungen gestatten, werden hiermit aufgehoben. 
§. 4. Die Gemeinde ist zur Abweisung eines neu Anziehenden nur dann 
befugt, wenn sie nachweisen kann, daß derselbe nicht hinreichende Kräfte besitzt, 
.—. 
  
Zu Anmerkung 4 auf S. 316. 
§. 3 Abs. 2 des Reichsgesetzes über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867, hat sich 
der Bundesrath über folgende Grundsätze verständigt: 
1. Reichsangehörigen, welche Aufenthaltsbeschränkungen der im §. 3 Abs. 1 des 
Freizügigkeitsges. 1. Nov. 1867 bezeichneten Art unterliegen oder innerhalb der letzten 
zwölf Monate wegen wiederholten Bettelns oder wiederholter Landstreicherei bestraft 
worden sind, wird der Aufenthalt in einem Bundesstaate nicht verweigert werden, 
wenn sie in diesem Staate die Staatsangehörigkeit oder einen Unterstützungswohnsitz 
(Heimathrecht) besitzen. Zur Verweigerung des Aufenthalts genügt eine einmalige 
Bestrafung innerhalb der zwölfmonatigen Frist, sofern nur vor Beginn derselben 
bereits eine Bestrafung stattgefunden hat. 
2. Die Ausweisung darf in den Fällen des §. 3 Abs. 2 des Freizügigkeits- 
gesetzes nicht für länger als die Dauer der Aufenthaltsbeschränkungen bezw. die 
Dauer der von der Verbüßung der letzten Strafe wegen Bettelns oder Landstreicherei 
zu berechnenden zwölf Monate verfügt werden. 
3. Aus Bundesstaaten, in welchen auf Grund landesrechtlicher Bestimmungen 
bereits nach einmaliger Bestrafung wegen Bettelns oder Landstreicherei eine Aufent- 
haltsbeschränkung polizeilich verfügt werden kann, wird wegen einer derartigen Auf- 
enthaltsbeschränkung eine Ausweisung nicht erfolgen. 
4. Bei Ausweisungen auf Grund des §. 3 Abs. 2 des Freizügigkeitsgesetzes 
find bezüglich des Verfahrens die Bestimmungen des Gothaer Vertr. 15. Juli 1851 
(§g. 8 bis 12) und die zur Ausführung derselben später getroffenen Vereinbarungen 
zur Anwendung zu bringen. 
Bei den bezüglichen Berathungen ist diesseits an der Auffassung festgehalten, 
daß auf Grund des §. 3 Abs. 2 der Aufenthalt in einem Bund#sstaate — die 
sonstigen Erfordernisse vorausgesetzt — nur solchen Reichsangehörigen verweigert 
werden kann, welche in einem anderen Bundesstaate entweder Aufenthaltsbeschränkungen 
unterliegen oder wegen wiederholten Bettelns oder wiederholter Landstreicherei bestraft 
worden sind. In dieser Beziehung ist eine Verständigung im Bundesrathe nicht zu 
Stande gekommen, vielmehr eine Berschiedenheit der Auffassungen bestehen geblieben, 
indem einige Bundesregierungen das Erforderniß der in einem anderen als dem 
Aufenthaltsstaate verhängten Strafe oder Aufenthaltsbeschränkung bestreiten und sich 
auch ohne diese Voraussetzung zur Ausweisung nach §. 3 Abs. 2 des Freizügigkeits- 
gesetzes für befugt halten. 
Nachdem die Verhandlungen im Bundesrath zu diesem Ergebniß geführt haben, 
wird zwar grundsätzlich an der bisherigen diesseitigen Auslegung des Gesetzes festzu- 
halten, indessen den, durch die verschiedene Handhabung des Gesetzes in der erwähnten 
Richtung geschaffenen, thatsächlichen Verhältnissen entsprechende Rechnung zu tragen 
sein, um die aus dieser Verschiedenheit sich für uns ergebenden, offenbaren Nachtheile 
ferner zu vermeiden. Es ist deshalb der unserer Auslegung des Gesetzes widersprechen- 
den Anwendung bis auf Weiteres nicht mehr entgegenzutreten, sondern den betreffenden 
Vundesstaaten gegenüber in derselben Weise thatsächlich zu verfahren, so daß also 
Angebörigen dieser Bundesstaaten bei dem Zutreffen der übrigen Erfordernisse des 
§. 3 Abs. 2 der Aufenthalt in Preußen auch dann zu versagen ist, wenn dieselben 
hier Aufenthaltsbeschränkungen unterworfen oder hier wegen wiederholten Bettelns 
oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden find. 
Dieses Verfahren ist zunächst Bayern, Württemberg und Baden gegenüber, auf 
welche nach den mir erstatteten Berichten die erwähnte Voraussetzung zutrifft, (dem- 
nächst auch Hamburg gegenüber, Res. 7. Febr. 1895, M. Bl. S. 28; desgl. Lübeck 
gegenüber, Res. 2. Juni 1895, M. Bl. S. 166. Die von Lübeck vertretene An- 
sicht, daß der 12 monatliche Zeitraum durch eine auf Grund des §. 362 R. St. 
G. B. verfügte korrektionelle Nachhaft unterbrochen werde, wird von Preußen nicht 
getheilt), in Anwendung zu bringen, während die bisherige Handhabung des Gesetzes 
den übrigen Bundesstaaten gegenüber so lange beizubehalten ist, als diese sich nicht 
der von den erstgenannten Bundesstaaten dem Gesetz gegebenen Auslegung und An-
	        
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