Abschnitt II. Die Preußische Verfassung. 35
Artikel 14. Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen
des Staats, welche mit der Religionsübung im Zusammenhange stehen, unbe-
schadet der im Art. 12 gewährleisteten Religionsfreiheit, zum Grunde gelegt.
Artikel 15. 160).
Artikel 17. Ueber das Kirchenpatronat und die Bedingungen, unter
welchen dasselbe aufgehoben werden kann, wird ein besonderes Gesetz ergehen?).
Artikel 18 0.
Artikel 19. Die Einführung der Civilehe erfolgt nach Maßgabe eines
besonderen Gesetzes, was auch die Führung der Civilstandsregister regelt 3).
Artikel 20. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.
Artikel 21. Für die Bildung der Jugend soll durch öffentliche Schulen
genügend gesorgt werden!).
ltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder Pflegebefohlenen
) Die Artikel 15, 16 und 18 lauteten: Art. 15. Die evangelische und die
römisch katholische Kirche so wie jede andere Religionsgesellschaft, ordnet und ver-
waltet ihre Angelegenheiten selbständig und bleibt im Besitz und Genuß der für ihre
Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen
und Fonds. Art. 16. Der Verkehr der Religionsgesellschaften mit ihren Oberen
ist ungehindert. Die Bekanntmachung kirchlicher Anordnungen ist nur denjenigen
Beschränkungen unterworfen, welchen alle übrigen Veröffentlichungen unterliegen.
Art. 18. Das Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl= und Bestätigungsrecht bei Besetzung
kirchlicher Stellen ist, so weit es dem Staate zusteht, und nicht auf dem Patronat
oder besonderen Rechtstiteln beruht, aufgehoben. Auf die Anstellung von Geistlichen
beim Militär und an öffentlichen Anstalten findet diese Bestimmung keine Anwendung.
Sie sanktionirten also gegenüber dem durch A. L. R. II. 11 geschaffenen ausgedehnten
weltlichen Oberauffichtsrechte des Staates über alle Religionsgesellschaften die Unab-
hängigkeit der Kirche vom Staate. Da diese Artikel den kirchenpolitischen Gesetzen
entgegenstanden, wurden sie zunächst durch Ges. 5. April 1873 (G. S. S. 143)
verändert. Dieses lautete:
Einziger Artikel. Die Artikel 15 und 18 der Verfassungs-Urkunde vom
31. Januar 1850 sind aufgehoben.
An die Stelle derselben treten folgende Bestimmungen:
Art. 15. Die evangelische und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere
Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig, bleibt aber
den Staatsgesetzen und der gesetzlich geordneten Aufsicht des Staates unterworfen.
Mit der gleichen Maßgabe bleibt jede Religionsgesellschaft im Besitz und Genuß
der für ihre Kultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten,
Stiftungen und Fonds.
Art. 18. Das Ernennungs-, Vorschlags-, Wahl= und Bestätigungerecht bei Be-
setzung kirchlicher Stellen ist, soweit es dem Staat zusteht und nicht auf dem Pa-
tronat oder besonderen Rechtstiteln beruht, aufgehoben.
Auf Anstellung von Geistlichen beim Militär und an öffentlichen Anstalten
findet diese Bestimmung keine Anwendung.
Im Uebrigen regelt das Gesetz die Befugnisse des Staates hinsichtlich der Vor-
bildung, Anstellung und Entlassung der Geistlichen und Religionsdiener und stellt die
Grenzen der kirchlichen Disziplinargewalt fest.
kn Ges. 18. Juni 1875 (G. S. S. 259) hob die Artikel 15, 16, 18
ganz auf:
Einziger Artikel. Die Artikel fünfzehn, sechszehn und achtzehn der Verfassungs=
Urkunde vom 31. Januar 1850 sind aufgehoben.
Selbstverständlich hatte die Aufhebung keine rückwirkende Kraft, so daß z. B.
das durch die Verfassungs-Urkunde aufgehobene placetum regium nicht wieder in
Kraft getreten ist.
2) Noch nicht ergangen. Vergl. A. L. R. II. 11 Abschn. 8.
3) Reichsges. 6. Febr. 1875 (R. G. Bl. S. 23).
4) Vergl. hierzu und zu den folgenden 88. den Abschn. „Erziehungs= und
Unterrichtspolizei“.
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