612 Abschnitt IX. Strafgesetzbuch. Verbrechen gegen die Sittlichkeit.
auf andere Weise den Personenstand eines Anderen vorsätzlich verändert) oder
unterdrückt, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren und, wenn die Handlun
in gewinnsüchtiger Absicht begangen wurde, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren
estraft.
Der Versuch ist strafbar.
§. 170. Wer bei Eingehung einer Ehe dem anderen Theile ein gesetz-
liches Ehehinderniß arglistig verschweigt oder wer den anderen Theil zur Ehe-
schließung arglistig mittelst einer solchen Täuschung verleitet, welche den Ge-
täuschten berechtigt, die Gültigkeit der Ehe anzufechten, wird, wenn aus einem
dieser Gründe die Ehe aufgelöst worden ist, mit Gefängniß nicht unter drei
Monaten bestraft.
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag des getäuschten Theils ein.
Dreizehnter Abschnitt. Verbrechen und Vergehen wider
die Sittlichkeit.
§. 171. Ein Ehegatte, welcher eine neue Ehe eingeht, bevor seine Ehe
aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist, ingleichen eine unver-
heirathete Person, welche mit einem Ehegatten, wissend, daß er verheirathet ist,
eine Ehe eingeht, wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bestraft.
Sind mildernde Umstände vorhanden, so tritt Gefängnißstrafe nicht unter
sechs Monaten ein.
Die Verjährung der Strafverfolgung beginnt mit dem Tage, an welchem
eine der beiden Ehen aufgelöst, für ungültig oder nichtig erklärt worden ist.
§. 172. Der Ehebruch wird, wenn wegen desselben die Ehe geschieden ist
an dem schuldigen Ehegatten, sowie dessen Mitschuldigen mit Gefängniß bis zu
sechs Monaten bestraft.
Die Verfolgung tritt nur auf Antrag ein?.
§. 173. Der Beischlaf') zwischen Verwandten auf= und absteigender
Linie") wird an den ersteren mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren, an den letzteren
mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
Der Beischlaf zwischen Verschwägerten auf= und absteigender Linie ), sowie
zwischen Geschwistern, wird mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.
Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte
erkannt werden.
Verwandte und Verschwägerte absteigender Linie bleiben straflos, wenn
sie das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet haben.
§. 174. Mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren werden bestraft:
1. Vormünder, welche mit ihren Pflegebefohlenen, Adoptiv= und Pflege-
eltern, welche mit ihren Kindern), Geistliche, Lehrer') und Erzieher,
1) Die strafbare Veränderung oder Unterdrückung des Personenstandes eines
Anderen kann auch in Ansehung bereits verstorbener Personen begangen werden, Erk.
O. Trib. 8. März 1876 (E. LXXVII. 382). Die unwahre Angabe in einer Ge-
burtsurkunde, daß ein außerehelich von der darin als Mutter bezeichneten Person ge-
borenes Kind von ihr in der Ehe mit dem genannten Manne geboren sei, ist als
Personenstandsveränderung und intellektuelle Urkundenfälschung zu bestrafen, Erk.
11. Febr. 1876 (E. LXXVII. 387). Vergl. E. Crim. II. 303; XXlIII. 292.
2) Die Verjährung des Ehebruchs beginnt dagegen erst mit dem Tage der Rechts-
kraft des Scheidungsurtheils, E. Crim. XV. 261.
3) Es genügt Vereinigung der Geschlechtstheile, Verletzung des Hymens oder
Samenerguß sind nicht erforderlich, Blums Ann. V. 482.
4) Nach Blutsgemeinschaft; auch zwischen unehelichen Verwandten, E. Crim.
II. 239.
5) Das sind Schwieger= und Stiefeltern und Kinder, auch nach Auflösung der
betr. Ehe, E. Crim. X. 302. Die Strafbarkeit liegt auch bei erfolgter Verheirathung
des Stiefvaters mit der Stieftochter vor, V. 359. Schwägerschaft beruht auch auf
außerehelicher Geburt, XX. 239.
6) Ueber den Begriff von Pflegeeltern und Pflegekindern im Sinne des Str.
G. B. und des A. L. R. vergl. E. Crim. XIII. 148; XX. 357.
7) Welches sind die Begriffsmerkmale eines „Lehrers"“ im Sinne des S§S. 184
Nr. 19 E. Crim. X. 345. Eines Erziehers? E. Crim. VI. 233.