Abschnitt X. Strafprozeß. Vertheidigung. 729
Hält der Amtsrichter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder die Gründe der-
selben für beseitigt, so verordnet er die Freilassung. Anderenfalls erläßt er einen
Haftbefehl, auf welchen die Bestimmungen des §. 126 Anwendung finden.
§. 131. Auf Grund eines Haftbefehls können von dem Richter, sowie von der
Staatsanwaltschaft Steckbriefe erlassen werden, wenn der zu Verhaftende flüchtig ist
oder sich verborgen hält.
Ohne vorgängigen Haftbefehl ist eine steckbriefliche Verfolgung nur dann statt-
haft, wenn ein Festgenommener aus dem Gefängnisse entweicht oder sonst sich der
Bewachung entzieht. In diesem Falle sind auch die Polizeibehörden zur Erlassung
des Steckbriefs befugt.
Der Steckbrief soll, soweit dies möglich, eine Beschreibung des zu Verhaftenden
enthalten und die demselben zur Last gelegte strafbare Handlung, sowie das Gefängniß
bezeichnen, in welches die Ablieferung zu erfolgen hat.
§. 132. Ist Jemand auf Grund eines Haftbefehls oder eines Steckbriefs er-
griffen worden, und kann er nicht spätestens am Tage nach der Ergreifung vor den
zuständigen Richter gestellt werden, so ist er auf sein Verlangen sofort dem nächsten
Amtsrichter vorzuführen.
Seine Vernehmung ist spätestens am Tage nach der Ergreifung zu bewirken.
Weist er bei der Vernehmung nach, daß er nicht die verfolgte Person, oder daß die
Verfolgung durch die zuständige Behörde wieder aufgehoben sei, so hat der Amts-
richter seine Freilassung zu verfügen.
Zehnter Abschnitt. Vernehmung des Beschuldigten.
§. 133. Der Beschuldigte ist zur Vernehmung schriftlich zu laden.
Die Ladung kann unter der Androhung geschehen, daß im Falle des Ausbleibens
seine Vorführung erfolgen werde.
§. 134. Die sofortige Vorführung des Beschuldigten kann verfügt werden, wenn
Gründe vorliegen, welche die Erlassung eines Haftbefehls rechtfertigen würden.
In dem Vorführungsbefehle ist der Beschuldigte genau zu bezeichnen und die
ihm zur Last gelegte strafbare Haltung, sowie der Grund der Vorführung anzugeben.
§. 135. Der Vorgeführte ist sofort von dem Richter zu vernehmen. Ist dies
nicht ausführbar, so kann er bis zu seiner Vernehmung, jedoch nicht über den nächst-
folgenden Tag hinaus, festgehalten werden.
#. 136. Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen,
welche strafbare Handlung ihm zur Last gelegt wird. Der Beschuldigte ist zu be-
fragen, ob er etwas auf die Beschuldigung erwidern wolle.
Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit zur Beseitigung der gegen
ihn vorliegenden Verdachtsgründe und zur Geltendmachung der zu seinen Gunsten
sprechenden Thatsachen geben.
Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittelung
seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.
Elfter Abschnitt. Bertheidigung.
. 137. Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes
eines Vertheidigers bedienen.
Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieser selbständig
einen Vertreter wählen.
§. 138. Zu Bertheidigern können die bei einem deutschen Gerichte zugelassenen
Rechtsanwälte, sowie die Rechtslehrer an deutschen Hochschulen gewählt werden.
Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts und, wenn der
Fall einer nothwendigen Verkkeidigung vorliegt und der Gewählte nicht zu den Per-
sonen gehört, welche zu Vertheidigern bestellt werden dürfen, nur in Gemeinschaft mit
einer solchen als Wahlvertheidiger zugelassen werden.
s. 148. Dem verhafteren Beschuldigten ist schriftlicher und mündlicher Verkehr
mit dem Vertheidiger gestattet. — — — ç
S. 149. Der Ehemann einer Angeklagten ist in der Hauptverhandlung als Bei-
stand derselben zuzulassen und auf sein Verlangen zu hören. Z .
Dasselbe gilt von dem Vater, Adoptivvater oder Vormund eines minderjährigen
Angeklagten. Z
In dem Vorverfahren unterliegt die Zulassung solcher Beistände dem richterlichen
Ermessen.