Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Zweiter Band. (2)

102 Abschnitt XXXIII. R. Gew. Ordn. Gewerbliche Arbeiter. 
Sie dürfen den Arbeitern keine Waare kreditirent). Doch ist es gestattet, 
den Arbeitern Lebensmittel:) für den Betrag der Anschaffungskosten ), Wohnung 
und Landnutzung gegen die ortsüblichen Mieths= und Pachtpreise, Feuerung, 
Beleuchtung, regelmäßige Beköstigung"), Arzeneien und ärztliche Hülfe, sowie 
Werkzeuge und Stoffe zu den ihnen übertragenen Arbeiten für den Betrag der 
durchschnittlichen Selbstkosten ) unter Anrechnung bei der Lohnzahlung zu ver- 
abfolgen. Zu einem höheren Preise ist die Verabfolgung von Verhheuen und 
Stoffen für Akkordarbeiten zulässig, wenn derselbe den ortsüblichen nicht über- 
steigt und im Voraus vereinbart ist. 
§. 115 a"). Lohn= und Abschlagszahlungen dürfen in Gast= und Schank- 
wirthschaften oder Verkaufsstellen nicht ohne Genehmigung der unteren Ver- 
  
Zu Anmerkung 4 auf S. 101. 
standes zur Anwendung. Die Einwilligung der Arbeiter schließt die Strafbarkeit nicht 
aus, Erk. 9. Jan. 1882 (E. Crim. V. 425). Bergl. 8. 154 Abs. 1, 8. 154 a Abs. 1 
Gew. O. 
5) Dies ist nicht dahin zu verstehen, daß die Auszahlung ohne alle Abzüge statt- 
finden muß; Borschüsse, die auf den verdienten Lohn gezahlt worden sind, können 
angerechnet werden, Erk. 13. Dez. 1883 (E. Crim. V. 779) und 21. Febr. 1890 
(Reger, Erg. I. 44). 
Ebenso können Abzüge stattfinden für rechtmäßig verwirkte Strafen, §. 1340b 
Gew. O., Wohlfahrtseinrichtungen und Kautionen, §§. 117 Abs. 2, 119a; desgl. 
Zahlungen mit Zustimmung der Arbeiter an Dritte als ihre Glänbiger oder Cessio- 
nare, E. Crim. XIII. 254. 
Auch Lohnabzüge mit Zustimmung des Arbeiters unterliegen gleichen Grund- 
sätzen; doch wird nichts im Wege stehen, daß ein Arbeiter nach Auszahlung des vollen 
Lohnes die Verwendung eines Theiles zur Bezahlung von Schulden an den Arbeit- 
geber verlangt, und daß dieses geschieht. Bergl. E. Crim. V. 426, XXVI. 208. 
Ein Fabrikinhaber, der die Löhne der von ihm beschäftigten Arbeiter in Wechseln, 
zumal in erst später fällig werdenden Wechseln ausbezahlt, hat die in 88. 146 Gew. O. 
angedrohte Strafe verwirkt, Erk. O. Trib. 2. Juni 1874 (J. M. Bl. S. 204). 
Dasselbe gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitern anstatt der Baarzahlung Marken 
zur Entnahme von Lebensmitteln bei dritten Personen verabfolgt, Erk. R. G. 22. Sept. 
1882 (E. Crim. VII. 37) oder Blechmarken für Lebensmittel oder Waaren, Erk- 
R. G. 23. Nov. 1882 (ebenda VII. 248) oder Bons zur Eutnahme von Waaren 
bei bestimmten Händlern, Erk. R. G. 19. April 1880 (ebenda I. 385) und 8. Jan. 
1883 (ebenda V. 18) oder Borschußzettel, Erk. R. G. 20. April 1886 (ebenda VIII. 
304). Auch Zinsabschnitte find kein baares Geld. Zulässig ist dagegen die Hingabe 
von Wechseln und anderen Schuldbekenntnissen lediglich als Sicherung der Lohn- 
forderung, E. Crim. XVII. 285. 
1) Die Verabfolgung von Waaren zu einem den Anschaffungspreis übersteigenden 
Betrage gegen baare Bezahlung fällt nicht ohne Weiteres unter das Verbot des §. 115, 
Erk. 20. Okt. 1891 (C. Crim. XXII. 178). 
:) Lehensmittel sind Waaren in rohem oder zubereitetem Zustande zur Erhaltung 
und Ernährung des menschlichen Körpers; Genußmittel und Haushaltungsartikel 
(Taback, Cigarren, Seife, Spiritus und Petroleum) sind also nicht unter Lebensmitteln 
im Sinne des §. 115 zu verstehen, Erk. 26. April 1887 (E. Crim. XV. 437). 
Vergl. Erk. 10. Jan. 1889 (E. Crim. XX. 217). Die Berabfolgung der Lebens- 
mittel muß aber unmittelbar vom Arbeitgeber ausgehen, oder, wie bei Arzeneien und 
ärztlicher Hülfe, wenigstens für die unmittelbaren Auschaffungskosten des Arbeitgebers, 
nicht durch einen dritten selbständigen Lieferanten, der seinen Bortheil dabei sucht, 
E. Crim. VII. 38. 
i) Einschl. der Transportkosten, Erk. R. G. 19. Nov. 1888 (Reger IX. 422). 
) Diese liegt vor, wenn dem Arbeiter während eines längeren Zeitraumes täglich 
wenigstens eine der üblichen Mahlzeiten in einer zum sofortigen Genusse geeigneten 
Weise geboten wird, Erk. R. G. 7./14. Juni 1888 (Rechtspr. X. 422). 
5) Der Begriff der „Selbstkosten“ deckt sich nicht mit dem der Anschaffungskosten, 
sondern enthält auch die Kosten der Lagerung, Versicherung und sonstigen Unter- 
haltung, sowie auch die aufgelaufenen Zinsen der Anschaffungskosten, Erk. R. G. 
27. Juni 1895 (E. Erim. VII. 321). 
64) Vergl. Ausf. Anw. 26. Febr. 1892 Abschn. B.
	        
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