62 Abschnitt XXXIII. R. Gew. Ordn. Gewerbebetrieb im Umherziehen.
§. 59. Eines Wandergewerbescheines bedarf nicht:
1. wer selbstgewonnene ) oder rohe:) Erzeugnisse der Land= und Forst-
wirthschaft, des Garten= und Obstbaues, der Geflügel= und Bienen-
zucht sowie selbstgewonnene Erzeugnisse der Jagd und Fischerei?) feil-
ietet“);
2. wer in der Umgegend seines Wohnorts bis zu 15 Kilometer Ent-
fernung") von demselben selbstverfertigte!) Waaren, welche zu den
Gegenständen des Wochenmarktverkehrs?) gehören, feilbietet oder ge-
1) Selbst gewonnene (rohe oder durch Be= oder Verarbeitung gewonnene); vergl.
Res. 20. Sept. 1884 (M. 17 S. 96) und Res. 23. Nov. 1886 (M. 21 S. 67).
Danach sind unter selbstgewonnenen Erzeugnissen und selbstverfertigten Waaren auch
solche zu verstehen, die von Familienangehörigen, Gehülfen oder Dienstboten des be-
theiligten Haushaltungsvorstandes gewonnen oder verfertigt, oder die zwar von dem
Haushaltungsvorstande gewonnen oder verfertigt find, aber von seinen Familien-
angehörigen, Gehülfen oder Dienstboten vertrieben werden. Auch das K. G. (E. K.
X. 299) ist gleicher Ansicht, indem es die im §. 59, 2 vorgesehene Betriebsart als
Ausfluß des stehenden Gewerbebetriebes anfieht. A. M. Landmann zu §. 59 und
Erk. R. G. 2. Febr. 1888 (Reger XlI. 132).
2) Zu den rohen Erzeugnissen der Land= und Forstwirthschaft, des Garten= und
Obstbaues gehören alle durch den Betrieb einer solchen Wirthschaft unmittelbar ge-
wonnenen Erzeugnisse, daher auch Wachs und Honig, Eier, rohe Felle, Schweins-
borsten, Kälberhaare, gerupfte Federn und Federvieh, nicht aber Erzengnisse, die
eine besondere Verarbeitung bedingen, z. B. gebrochener oder gerösteter Flachs,
Butter, Käse, gebackenes, getrocknetes und eingekochtes Obst, Res. 5. Febr. 1870
(M. Bl. S. 132) und 7. Mai 1870 (Winiker Nr. 782 b), Erk. O. Trib. 30. März
1878 (O. R. XIX. 153). Vergl. auch Res. 26. Dez. 1847 (M. Bl. 1848 S. 25).
Der Kommissarius des Bundesrathes erklärte in der Sitzung des Reichstages
vom 12. April 1883 (Sten. Ber. S. 1861), er sei zu einer Erklärung provozirt
worden, daß die Butter zu den rohen Erzeugnissen der Landwirthschaft gehöre.
Die Butier sei ein Fabrikat und nicht ein rohes Erzengniß, die verbündeten Re-
gierungen würden aber nichts dagegen haben, wenn der Reichstag in einem Zusatz
etwa sagte: in Bezug auf §. 59 No. 1 gilt Butter als ein rohes Erzengniß der
Landwirthschaft. Ein solcher Zusatz wurde jedoch demnächst weder beantragt noch
beschlossen.
*) Fische, die durch unberechtigtes Fischen, also eine strasbare Handlung, erlangt
sind, können den selbstgewonnenen Erzengnissen nicht gleichgestellt werden, Erk. K. G.
29. Mai 1880 (Reger XI 270).
4) Nur das Feilhalten der in Ziff. 1 gedachten Erzeugnisse ist wanderge-
werbescheinfrei, der Ankauf zum Wiederverkauf im Umherziehen ist wandergewerbe-
scheinpflichtig.
6) Eine Beschränkung des im §. 59 Nr. 2 für den daselbst erwähnten Gewerbe-
betrieb bestimmten räumlichen Gebietes durch die Berwaltungsbehörden ist unzulässfig,
A. II. 5 Anw. 29. Dez. 1883 weiter unten.
Zum Feilbieten von selbstverfertigten, zu den Gegenständen des Wochen-
marktverkehrs gehörigen Waaren im Umherziehen in einer Entfernung bis zu 15 Kilo-
metern vom Wohnort bedarf es nach §. 59 Gew. O. eines Wandergewerbe-
scheines nicht. Wohl aber ist auch in solchem Falle beim Vorliegen eines gesetzlichen
Grundes die Klage auf Untersagung des Gewerbebetriebes zulässig. Zur Anstellung
dieser Klage ist jedoch nur die Ortspolizeibebörde der Gemeinde, in der der Händler
seinen Wohnfitz hat, zuständig, nicht auch die Ortspolizeibehörde einer derjenigen be-
nachbarten Gemeinden, in der er Hanfirhandel treibt, Erk. O. B. G. 27. Juni 1889
(Pr. B. Bl. X. 564).
) Zu den selbstverfertigten Waaren gehört auch selbstgeschlachtetes Fleisch, Res.
13. Jan. 1870 (M. Bl. S. 131); E. K. X. 199, A. M. Erk. O. Trib. 19. Febr.
1874 (O. R. XV. 98). Vergl. im Uebrigen Anm. 1 zu F. 59.
7!) Wegen der Gegensände des Wochenmarktverkehrs vergl. §. 66.