Abschnitt XXXVI. Ausf. Anw. zur Landgemeinde-Ordnung. 865
handlungen zu besorgen, so wird sich dieser Weg nicht empfehlen. Die Beschreitung
des anderen Weges setzt nach dem Wortlaute der Vorschrift unter Nr. 3 in der Regel
voraus, daß Bezirke ihrem ganzen Umfange nach mit anderen vereinigt werden; dieser
Weg wird sich daher meistens dann nicht empfehlen, wenn ein leistungsunfähiger
Bezirk nicht ungetheilt an einen anderen, sondern getheilt an mehrere andere ange-
schlossen werden soll. Solche Erwägungen werden bei der Auswahl des einen oder
anderen Weges zu berücksichtigen sein. „ #
Wird der zweite Weg gewählt, so ist ferner die Bestimmung des Abs. 2 in §. 1
Nr. 5 a zu beachten. Darnach soll für die Frage der Leistungsunfähigkeit die That-
sache, daß den betreffenden Gemeinden oder Gutsbezirken Zuwendungen für gewisse
öffentlich-rechtliche Zwecke vom Staate oder größeren Kommnnalbehörden gewährt
werden, an sich nicht entscheidend sein. Hierbei sind gänzlich außer Betracht zu lassen
alle diejenigen Zuschüsse, welche Gemeinden oder Gutsbezirke allgemein ohne Rücksicht
auf ein nachgewiesenes besonderes Bedürfniß zufolge gesetzlicher Bestimmung unter
gewissen Boraussetzungen zu beanspruchen haben, wie dies hinsichtlich der Zuschüfse
zu den Besoldungen der Lehrer und Lehrerinnen nach den Gesetzen vom 14. Juli 1888
und vom 31. März 1889 der Fall ist. Dasselbe gilt in der Regel auch von Zu-
wendungen zur Ausführung von Wegebauten. Für die Frage der Leistungsunfähigkeit
können vielmehr überhaupt nur solche Zuwendungen in Frage kommen, welche als
„Bedürfnißzuschüfse“ bezeichnet werden, wie beispielsweise die Beihülfen, welche die
Landarmenverbände gemäß §. 36 des Preuß. Ausführungs-Gesetzes vom 8. März 1871
zu dem Bundesgesetze über den Unterstützungswohnsitz unvermögenden Ortsarmen-
verbänden bei nachgewiesenem Bedürfuisse zu gewähren haben. Wo Gemeinden oder
Gutsbezirke solche Bedürfnißzuschüsse vom Staate, Provinzial= oder Kreisverbande
erhalten, ist aber auf Grund dieser Thatsache allein noch nicht als nachgewiesen zu
crachten, daß sie außer Stande sind, ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu er-
füllen; vielmehr kommt es auf eine sachliche Prüfung der Leistungsunfähigkeit selbst
an, welche darauf zu richten ist, ob eine dauernde Leistungsunfähigkeit zur Erfüllung
der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen vorliegt, oder ob etwa die Gewährung der
Bedürfnißzuschüsse nur auf wohlwollender Fürsorge, auf einer ungenügenden Prüfung
der Leistungsfähigkeit oder auf einem nur vorübergehenden Zustande der Leistungs-
unfähigkeit beruht.
Für den Fall der Vereinigung einer leistungsunfähigen Gemeinde mit einem
leistungsfähigen Gutsbezirke schreibt §. 2 Nr. 3 in Abs. 2 ausdrücklich vor, daß der
letztere als solcher bestehen bleibt, sofern der Gutsbesitzer dies beantragt; in diesem
alle geht die Landgemeinde unter Fortfall der Gemeindeverfassung völlig im Guts-
bezirke auf. Es wird dies der Regel nach schon an und für sich der Natur der Sache
entsprechen. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß der Gutsbesitzer selbst unter Um-
ständen die Bildung einer Landgemeinde aus seinem bisher selbständigen Gute und
der zugeschlagenden bisher leistungsuufähigen Gemeinde wünscht, und es wird alsdann
diesem Wunsche, soweit ein öffentliches Interesse nicht entgegensteht, Folge zu geben sein.
Zu §. 2 Nr. 5 lit. b
wird es kanm der Bemerkung bedürfen, daß nicht allgemein da, wo einzelne Treun-
ücke von einem größeren Gute abgezweigt und in andere Hände übergegangen find,
eine solche Zersplitterung des Gutsbezirkes vorliegt, welche eine Neuregelung des
kommunalen Verhältnisses erheischt. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß, so lange
die Einheit des Besitzes nicht erheblich beeinträchtigt ist, und die Leistungsfähigkeit
erhalten bleibt, der Fortbestand des Gutes als eines selbständigen Gutsbezirkes sich
der Regel nach rechtfertigt. Dagegen wird in allen denjenigen Fällen, in welchen
die Zersplitterung eines Gutsbezirkes oder die Bildung von Kolonien innerhalb des-
selben eine solche Ausdehnung gewonnen hat, daß das Kennzeichen der Einheit des
Besitzes verloren gegangen ist, zu prüfen sein, ob die Umwandlung dieses Gutsbezirks
in eine Landgemeinde, oder ob die Abtrennung einzelner Theile desselben unter Zu-
cchlagung zu einer oder mehreren Landgemeinden geboten erscheint. Insbesondere ist
iu allen Fällen, in denen auf den Antrag des Gutsbesitzers ein die Ausbringung der
osten der öffentlichen Armenpflege anderweit regelndes Statut gemäß §. 8 des Ge-
setzes vom 8. März 1871 erlassen ist, in Erwägung zu ziehen, ob nicht einem solchen
utsbezirke die Voraussetzungen seines rechtlichen Fortbestandes verloren gegaugen
Illing= Kaux, Sandtuch II, 7. Aufl. 55