874 Abschnitt XXXVI. Ausf. Anw. zur Landgemeinde-Ordnung.
In Gemeinden, deren Verhältnisse einfach und gleichartig gestaltet find, und deren
Einwohner der Hauptsache nach Landbau treiben, kann trotz beträchtlicher Seelenzahl
die laufende Gemeindeverwaltung meist sehr wohl von einem Einzelbeamten geführt
werden. In Gemeinden mit verwickelten Verhältnissen und vorwiegend städtischem
Charakter, wie namentlich in manchen Vororten größerer Städte, wird andrerseits
oft die Einführung eines kollegialischen Gemeindevorstandes zur Förderung des Ge-
meindelebens und zur Hebung der Gemeindeverwaltung dienen können. Insbesondere
wird fie häufig einen angemessenen Uebergang von der Landgemeindeverfassung zur
städrischen Verfassung in solchen Orten bilden, deren Eutwickelung auf die Verleihung
der letzteren hinweist.
Ob hiernach die Einführung eines kollegialischen Gemeindevorstandes zulässig und
zweckmäßig ist, hat in erster Linie die Gemeinde selbst bei Beschlußfafsung über das
gemäß §. 74 Abs. 6 nothwendige Ortsstatut, demnächst aber auch der Kreisausschuß
bei Ertheilung der nach §. 6 Abs. 2 für das Ortsstatut erforderlichen Genehmigung
zu prüfen.
B. Das Abgabewesen der Landgemeinden ?.
II. Gemeindeabgaben vom Grundbesitz.
3. MWüste Hufen.
Endlich ist, was den Kreis der gemeindeabgabenpflichtigen Grundstücke betrifft.
die Bestimmung des §s. 28 wegen Heranziehung der „wüsten Hufen“ zu beachten.
Derselbe beschränkt sich nicht auf wüste Hufen im eigentlichen Sinne; diese sind viel-
mehr nur als hauptsächliches Beispiel ausdrücklich erwähnt. Die Bestimmung finder
Anwendung auf alle ursprünglich bäuerlichen, zu selbständigen Gütern eingezogenen
Grundstücke, auch wenn sie vor der Einziehung nicht unbesetzt (wüste) gewesen waren.
Bei Beurtheilung des gemeinderechtlichen Verhältnisses dieser Grundstücke ist zu be-
achten, daß alle ursprünglich bäuerlichen Grundstücke, welche nach dem für die ein-
zelnen Theile der fieben östlichen Provinzen verschieden bestimmten Normaljahre
(s. Anl. A. der Begründung der Landgemeinde-Ordnung, Drucksachen des Ab-
geordnetenhauses 1890 91, zu Nr. 7 S. 14 ff.) zu den Dominien eingezogen worden
sind, Bestandtheil der Landgemeinden geblieben sind und nicht zu den Gutsbezirken
gehören, falls sie nicht etwa später in rechtsgültiger Weise — wie insbesondere bei
der Regelung der gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisse im Wege der Ueberweisung als
Landabfsindung — den Gutsbezirken einverleibt sind. Soweit also die örtliche Lage
dieser Grundstücke überhaupt noch, wenn auch nur durch eine eingehende Untersuchung,
festgestellt werden kann, sind sie dem Bezirk der Landgemeinden, zu welchem sie recht-
lich gehören, auch thatsächlich zuzurechnen. Für Fälle dagegen, in denen die Lage
solcher Grundstücke überhaupt nicht mehr erkennbar ist, hat §. 28 die Bestimmung
über die Fortleistung oder Ablösung der von diesen Grundstücken bisher enrrichteten
Gemeindeabgaben und Lasten getroffen.
C. Bermögen und Haushalt der Landgemeinden.
1. Gemeindevermögen in engerem Sinne und Gemeindegliedervermögen.
Der Abschn. 5 des Tit. II der Landgemeinde-Ordnung mit der Ueberschrift
„Gemeindevermögen" handelt vamentlich von dem Unterschiede zwischen „Gemeinde-
vermögen im engeren Sinne“, dessen Nutzung der Gemeinde zusteht, und „Gemeinde-
gliedervermögen“, dessen Nutzung den Gemeindeangehörigen zusteht. Das letztere Ver-
hältniß wird nicht vermuthet, sondern muß erforderlichenfalls nachgewiesen werden;
hierzu werden im Wesentlichen die Rechtsquellen dienen, welche in S. 70 als maß-
geblich für das Theilnahmeverhältniß der zur Nutzung des Gemeindegliedervermögens
Berechtigten aufgeführt find: „Berleihungsurkunde, vertragsmäßige Festsetzungen, her-
gebrachte Gewohnheit“. Aus der Bezeichnung „Gemeindegliederoermögen“ darf nicht
geschlossen werden, daß dessen Nutzung grundsätzlich auf die Gemeindeglieder (die
stimm= und wahldberechtigten Gemeindeangehörigen) beschränkt sei; es sind vielmehr
1) Mit Ausnahme von B. II. durch Ausf. Anw. zum Komm. Abg. Ges.
14. Juli 1893 vom 10. Mai 1894 ersetzt.