Full text: Handbuch für Preußische Verwaltungsbeamte. Zweiter Band. (2)

910 Abschnitt XXXVI. Landgemeinde-Ordnung für die Prov. Westfalen. 
K. 15. Zur Theilnahme an den öffentsichen Geschästen der Gemeinde (Ge- 
meinderecht) sind nur diejenigen Mitglieder der Gemeinde berechtigt, welche 
I. preußische Unterthanen und selbständig find, und 
II. seit einem Jahre 
1. keine Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln empfangen, 
2. die sie betreffenden Gemeinde-Abgaben gezahlt haben, und 
3. a) in dem Gemeindebezirke mit einem Wohnhause angesessen sind und von 
ihren daselbst gelegenen Grundbesitzungen zu einem Jahresbetrage von 
mindestens sechs Mark an Grund- und Gebäudesteuer vom Staate 
veranlagt sindt); doch kann dieser Satz, wo besondere Ortsverhältnifse es 
nöthig machen, ausnahmsweise mit Genehmigung des Kreisausschusses 
geringer festgesetzt werden), oder 
b) ihren Wohnsitz im Gemeindebezirke haben und außerdem zur Staatsein- 
kommensteuer veranlagt sind oder zu den Gemeindeabgaben nach einem 
Jahreseinkommen von mehr als 660 Mark herangezogen werdens). 
Steuerzahlungen und Grundbesitz der Ehefrau werden dem Ehemanne, 
Steuerzahlungen und Grundbesitz der minderjährigen, beziehungsweise der 
unter väterlicher Gewalt befindlichen Kinder, dem Bater angerechnet. 
§. 16. Wer in einer Gemeinde seit einem Jahre mehr als einer der drei höchst- 
besteuerten Einwohner, sowohl an direkten Staats= als au Gemeinde-Abgaben eut- 
richtet“), ist, auch ohne im Gemeindebezirk zu wohnen oder mit einem Wohnhause 
angesessen zu sein, zum Stimm- und Wahlrecht berechtigt, falls bei ihm die übrigen 
Erfordernisse dazu vorhanden find. 
Eben dies gilt von juristischen Personens) wenn sie in einem solchen Maße in 
der Gemeinde besteuert sind. 
§. 17. Als selbständig (s. 14 Nr. 1 und §. 15 I.) wird derjenige angesehen, 
welcher das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet und einen eigenen Hausstand hat, 
sofern ihm das Recht, über sein Vermögen zu verfügen und dasselbe zu verwalten, 
nicht durch richterliche Erkenntniß entzogen ist. 
Inwiefern für nichtselbständige Personen und für Frauenspersonen, welche ein 
Wohnhaus besitzen, eine Stellvertretung stattfinden kann, ist im §. 20 bestimmt. 
§. 18. Wer ein Wohnhaus in einer Gemeinde besitzt, dem kommt bei Be- 
rechnung der Dauer des einjährigen Wohnsitzes oder Ansässigkeit die Besitzzeit des 
Erblassers zu Gute. 
Die Uebertragung unter den Lebenden an Verwandte in absteigender Linie steht 
der Vererbung gleich. 
§. 19. Verlegt ein stimmberechtigtes Gemeinde-Mitglied seinen Wohnfitz in eine 
andere Gemeinde, so kann ihm das Gemeinderecht, wenn sonst die Erfordernisse zu 
dessen Erwerbung vorhanden sind, durch den Gemeindevorsteher im Einverständniß 
mit der Gemeindeversammlung schon vor Ablauf von einem Jahre verliehen werden. 
Ein Gleiches findet statt, wenn der Besitzer eines selbständigen Gutes (§. 3) seinen 
Wohnsitz in eine Gemeinde verlegt. 
§. 20. Befindet sich ein Wohnhaus im Besitz einer Frauensperson oder einer 
unter väterlicher Gewalt oder Vormundschaft stehenden Person und würde dieselbe, 
1) §. 5 Abs. 1 Ges. 14. Juli 1893 (G. S. S. 119) wegen Aufhehung direkter 
Staatssteuern. 
2) Zust. Ges. §. 31 Abs. 1. 
3) 88. 74 ff., 85 Eink. St. Ges. 24. Juni 1891. 
4) Das Wort „entrichten“ ist nicht so zu verstehen, als ob die Staatssteuer, um 
zur Anrechnung kommen zu können, auch in der Forensalgemeinde wirklich gezahlt 
werden müßte. Die Staatssteuer ist vielmehr insoweit anzurechnen, als sie für das 
Einkommen erhoben wird, das aus den in der Forensalgemeinde belegenen Ein- 
kommensquellen (Grundbesitz, Gewerbebetrieb) fließt, Erk. O. B. G. 3. Febr. 1897 
(Pr. B. Bl. XVII. 264). « 
5) Zu diesen gehören, die-Aktiengesellschaften und Kommamditgesellschaften auf 
Akrien, E. O. V. XVII. 96, XXX. 6, Verggewerkschaften des neuen Rechtes (58. 94, 
*96 Berggel 24. Juni 1865), Stiftangen mit Rechtsperssnlichkeit; dagegen nicht 
Verggewerkschaften des alten Rechtes, Gesellschaften mit beschränster Haftung, E. O. 
B. XXX. 6, eingetragene Genossenschaften, Pr. B. Bl. XVII/. 849. 
 
	        
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