550 VII. Einzelne Unterrichtsgegenstände.
Anderungen, welche das Elementarunterrichtsgesetz vom 8. März 1868 durch
die Gesetze vom 18. September 1876 (s. Seite 45) und vom 1. April 1880 ((s.
Seite 52) erfahren, hatten eine Umarbeitung der Verordnung vom 21. März 1870
im Gefolge, deren Ergebnis als (vom Unterrichtsministerium genehmigte) Ver-
ordnung des Oberschulrats vom 18. Oktober 1882, betreffend den
Handarbeitsunterricht der Mädchen an den Volksschulen, zur Verkündung gelangt
ist (Schulv.-Bl. 1882, Seite 107). Aus einer abermaligen Umarbeitung — an-
schließend an das Elementarunterrichtsgesetz vom 13. Mai 1892 — ist sodann die
gegenwärtig maßgebende Verordnung des Oberschulrats vom 3. März
1894 hervorgegangen (Schulv.-Bl. 1894, Seite 76). Mit dieser Verordnung gleich-
zeitig wurde eine vom 2. März 1894 datierte Verordnung des Ministe-
riums der JIustiz, des Kultus und Unterrichts, betreffend die
Prüfung der Lehrerinnen für weibliche Hanudarbeiten, aus-
gegeben.
Beide Verordnungen sind nachstehend abgedruckt.
II. Die Leistungen und Erfolge des „Industrie“-Unterrichts waren bis tief in
die zweite Hälfte des Jahrhunderts im allgemeinen recht dürftig. Selbst an den
Schulen größerer Städte ging die Thätigkeit der „Industrielehrerin“ über eine ge-
wisse Aufsichtsführung und etwas Anleitung bei Fertigung von Strick= oder Näh-
arbeiten, welche die Schülerinnen jeweils nach elterlicher Weisung von Haus in
die Schule brachten, und an welchen sie da weiterarbeiteten, nicht viel hinaus. In
Landorten war selbst diese Aufsichtsführung und Anleitung vielfach sehr wenig wirk-
sam — eine Erscheinung, welche nicht auffallen konnte angesichts der Art und Weise,
wie die Gemeinderäte bei der Auswahl der „Schulnuäherin“ zu verfahren pflegten
(bgl. Zusatz 2 zu § 35 des E.-U.-G., Seite 123), und bei einer Entlohnung der
Industrielehrerinnen, für welche meist der (damals) ortsübliche Tagelohn einer ge-
wöhnlichen Handnäherin — berechnet nach der Dauer der auf die Unterrichtserteilung
entfallenden Zeit — den Maßstab bildete. Aber auch bessere Einsicht und redlichster
Wille der Gemeindebehörden hätten nicht sehr viel bessern können, solange fachlich
vorgebildete Lehrerinnen für Erteilung eines planmäßigen Unterrichts nahezu voll-
ständig fehlten. Daß diesem Mangel nach und nach abgeholfen werden und daß
durch Ausbildung und fortschreitende Vervollkommnung einer Methodik des Hand-
arbeitsunterrichts für Mädchen dieser Unterrichtszweig auf seinen jetzigen blühenden
Stand im Großherzogtum Baden gehoben werden konnte, ist ganz hervorragend das
Verdienst der Organe und Veranstaltungen des Badischen Frauenvereins, welch'
letztere zumeist der Anregung und Förderung durch die hohe Protektorin des Ver-
eins, Ihre Königl. Hoheit die Großherzogin Lnise, eine segens= und erfolgreiche
Entwicklung verdanken.
III. Vor 1870 haben allgemeine behördliche Vorschriften weder über den In-
halt des in den „Inonstrieschulen“ zu erteilenden Unterrichts, noch bezüglich der zu
fordernden Befähigung für Erteilung eines solchen Unterrichts bestanden. Erstmals
in der Verordnung vom 21. März 1870 wurden (§ 9) als die Gegenstände, auf
welche der Unterricht in allen Arbeitsschulen mindestens sich erstrecken soll,
bezeichnet: Stricken, Stopfen, Nähen, Flicken; je nach den örtlichen Verhältnissen
soll er ausgedehnt werden auf „Musterschneiden, Häckeln Straminsticken, Weißsticken
Strohflechten und dergl.“ Als Arbeitslehrerinnen sollen nur solche Personen ver-
wendet werden (§ 11), „deren sittliche Würdigkeit unbeanstandet ist, und welche sich
über ihre Befähigung zur Erteilung des Unterrichts in weiblichen Arbeiten erforder-
lichenfalls durch eine von der Oberschulbehörde anzuordnende Prüfung genügend