1. Kapitel: Kriegserklärung nach deutschem Staatsrecht. 27
in einem solchen Falle die Mobilisierung anordnen und die
sonstigen zum Kriege erforderlichen Maßnahmen selbständig und
unabhängig treffen. Aber nicht jeder beliebige Angriff ist als
Voraussetzung für das selbständige kaiserliche Kriegsrecht von
der Reichsverfassung zugelassen. Vielmehr muß der Angriff „auf
das Bundesgebiet oder dessen Küsten“ erfolgen.
Was gehört zum Bundesgebiet? Das Bundesgebiet umfaßt
einmal die in Art. 1 der R. V. aufgeführten 25 Gliedstaaten,
ferner gehört zum Bundesgebiet das Reichsland Elsaß-Loth-
ringen das durch Gesetz vom 31. Mai 1911 über die Ver-
fassung Elsaß-Lothringens in mehrfacher Beziehung den Bun-
desstaaten gleichgestellt worden ist, ohne jedoch ein solcher ge-
worden zu sein. 1) Endlich ist noch durch Gesetz vom 15. Dezem-
ber 1890 betr. die Vereinigung von Helgoland mit dem Deut-
schen Reiche Helgoland nicht nur zum Bundesgebiet hinzugetreten
(& 1 d. Ges.), sondern auch die Verfassung ausdrücklich mit
dem Tage der Einverleibung auf der Insel in Geltung getreten
(§ 2 d. Ges.).
Die Feststellung, daß ein Angriff auf diese Gebiete das
Bundesgebiet verletzt, bietet keine Schwierigkeit.
Eine viel umstrittene Frage ist nun aber die: Ist unter
einem Angriff auf die deutschen Schutzgebiete auch „ein An-
zans aus das Bundesgebiet“ zu verstehen? Behanntlich gilt die
Reichsverfassung in den Kolonien nicht. Diese gelten zwar dem
Auslande gegenüber, da sie ausschließlich der Herrschaft des
Reiches unterworfen sind, als deutsches Gebiet, als Inland,
nicht aber als Bestandteile des deutschen Reichsgebietes im
Sinnc der Reichsverfassung,) da diese nicht auch ausdrücklich
auf die Kolonien ausgedehnt worden ist. Bundesgebiet hätten
sie nur durch eine Abänderung des Art. 1 der R. V. werden
können; eine solche hat aber nicht stattgefunden.) Sie sind,
wie Zorn") treffend sagt, dem Deutschen Reich nur ange-
gliedert worden und gelten somit nicht als Bundesgebiet. Ein
Angriff auf die Schutzgebiete fällt demnach auch nicht unter
1) Vgl. Rehm, H.. Das Reichsland Elsaß-Lothringen, Leipzig 1912.
2) Vgl. v. Seydel zu Art. 11 S. 161.
23) Vg9l. Meyer-Anschütz, Staatsrecht S. 213.
4) Stoatsrecht I S. 578.