Full text: Kriegserklärung und Friedensschluß nach deutschem Staats- und Völkerrecht.

1. Kapitel: Kriegserflärung nach deutschem Staatsrecht. 31 
bereits dargelegten Sinne führt. Die Reichsverfassung sagt zwar 
nur: „Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist 
die Zustimmung des Bundesrats erforderlich.“ Ausdrücklich er- 
wähnt wird also nur der Fall, daß eine Kriegserklärung von 
Seiten des Reiches erfolgt, nicht aber auch der Fall, daß der Krieg 
tatsächlich durch Eröffnung von Feindseligkeiten ohne vorherige 
Kriegserklärung deutscherseits begonnen wird. Man darf aber, 
wie bereits bei der Unterscheidung von Angriffs= und Vertei- 
digungskriegen dargelegt wurde, das Wort „Kriegserklärung“ 
nicht in diesem engeren Sinne auffassen. Es wäre ja auch wider- 
sinnig, wenn man annehmen wollte, der Kaiser könne zwar 
keinen Krieg selbständig erklären, wohl aber unter Umgehung 
dieser Formalität durch sofortige Eröffnung von Feindseligkeiten 
das Reich in einen Krieg hineinziehen. 1) Daß man der Ver- 
fassung einen derartigen Sinn nicht unterschieben kann, daß man 
vielmeht auch für den Fall der Kriegseröffnung durch direkte 
Feindseligkeiten von Seiten des Reiches die Zustimmung des 
Bundesrats verlangen muß, ist ohne weiteres einleuchtend, oder 
man müßte annehmen, daß nach dem Wortlaut der Verfassung 
das Reich überhaupt keinen Angriffskrieg ohne vorherige Kriegs- 
erklärung führen dürfe. 2) Wie schon hervorgehoben, besteht 
ein großer Unterschied zwischen der Frage, wer im Staate, im 
Deutschen Reich zur Kriegserklärung berufen ist, und der Frage, 
ob eine solche überhaupt erforderlich ist und in welchen Formen 
sie eventuell zu geschehen hat. Während die erstere Frage eine 
imnerstaatliche, eine solche des Verfassungsrechtes ist, wird die 
letztere vom äußeren Staatsrecht, dem sogen. Völkerrecht beant- 
wortet, (da sie sich auf einen Tatbestand bezieht, an dem ein 
wesentliches Element ausländisch ist). Wir müssen uns nun fragen: 
Hat die Reichsverfassung in dem uns bekannten Abs. 2 des Art. 
11 eine derartige Völkerrechtsnorm aufgestellt und demgemäß 
bestimmt, daß das Reich überhaupt keinen Angriffskrieg ohne 
vorherige Kriegserklärung führen darf. In diesem Falle würde 
allerdings jeder vom Kaiser vermittelst der ihm zustehenden 
Machtmittel ohne Kriegserklärung durch tatsächliche Feindselig- 
1) And. Ansicht Dienstfertig S. 72: Nur hinsichtlich der Eröffnung des 
Krieges durch eine feierliche Erklärung ist des Kaisers Legitimation beschränkt. — Für 
die im Text vertretene Ansicht Laband, 1. Aufl. II S. 168; Heilborn S. 164, 
2) Dies ist die Ansicht von Dienstfertig. 
 
	        
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