1. Kapitel: Kriegserklärung nach deutschem Staatsrecht. 41
Art. 73,69 R. V., die Mittel zur Führung eines von ihm nicht
gebilligten Krieges, insbesondere die Aufnahme einer Anleihe
zu verweigern, sofern der Krieg nicht mit den gewöhnlichen
Mitteln, wie sie im Reichshaushaltsetat für Heer und Flotte be-
willigt sind, geführt werden kann. 1) Tatsächlich stehen dem
Kaiser aber weitere, allerdings nicht erhebliche Mittel zur Krieg-
führung in dem Reichskriegsschatz (in Spandau) zur Verfügung.
Denn gemäß §1 des Gesetzes vom 11. November 1871 (Reichs-
gesetzbl. 1871 S. 403) braucht der Kaiser zu dessen Verwendung
nicht die vorherige Zustimmung des Bundesrates, noch auch die
des Reichstages; es genügt die nachträgliche Genehmigung der-
selbeen. Welche Rechtslage aber bei einer Verweigerung dieser
Genehmigung eintreten würde, ist nicht bestimmt. Jedenfalls
erscheint das Recht der nachträglichen Genehmigung in diesem
Falle und im Falle einer Anleihe von nicht allzu großer prak-
tischer Bedeutung zu sein. Die gesetzgebenden Organe befinden
sich im Falle eines Krieges geradezu in einer Zwangslage;
denn da die Ehre, das Ansehen, ja selbst die Existenz des Staates
auf dem Spiele stehen, ist die Verweigerung der erforderlichen
Geldmittel „eine moralische Unmöglichkeit, und wenigstens dem
Heere gegenüber, dessen Lebensbedürfnisse befriedigt werden
müssen, faktisch nicht durchzusetzen“. Diese für den Reichstag
„entstehende Zwangslage ist jedoch um so leichter zu ertragen,
als sie nicht die Folge einer Willkür, sondern vielmehr der ver-
fassungsmäßig dem Kaiser bezw. dem Bundesrate übertragenen
selbständigen Behandlung der auswärtigen Angelegenheiten
ist“.)2)
1) So auch o. Rönne, Preuß. St. N. S. 704; dagegen v. Mohl, N.
St. R. S. 312, er bestreitet, daß ein Reichskrieg mit den im Reichshaushalls-Etat
bewilligten Geldern geführt werden dürfe; denn diese seien „nicht zum Kriegführen,
sondern zur Erhaltung des Hecres im Frieden bestimmt. — und ihre Verwendung
zum Kriege wäre nicht weniger eine Verletzung des Bewilligungsrechts des Reichstags,
als einseitige Schuldenaufnahme“; — doch folgt m. E. schon aus dem Verfügungsrecht
des Kaisers über Oeer und Flotte sowohl im Frieden als auch im Kriege die Berech-
tigung zur Führung eines Krieges mit den im Reichshaushaltsetat bewilligten Mitteln.
Vgl. E. Meier, Abschluß S. 15/16. 2) Blunischli, Allg. Staatsrecht II S. 89.
3) v. Mohl, a. a. O. — Wenn somit der Kaiser bei Verweigerung der Zu-
stimmung des Reichstages selbständig eine Anleihe aufnehmen würde, so würde der
hierfür verantwortliche Reichskanzler zwar formell rechtswidrig handeln, könnte aber
bei Nachweis ihrer Notwendigkeit auf Freisprechung hoffen.