60 2. Kapitel: Friedensschluß nach deutschem Staatsrecht.
Gegenständen erforderlich; 1) der wahre Zweck der zitierten Worte
kann also nur der sein, innerhalb der Reichskompetenz den
Roehmen dein Gesetzessphäre gegen denjenigen der Verordnungs-
sphäre abzugrenzen. In das Gebiet der Gesetzgebung des Reiches
gehören aber nicht nur Verträge, die die in Art. 4 genannten
Gegenstände betreffen, sondern auch z. B. Verträge, welche die
Finanzen des Reiches belasten (Art. 69, 73 R. V.), als z. B.
Friedensverträge, durch die dem Reiche die Zahlung einer Kriegs-
kostenentschädigung auferlegt wird, oder Verträge, die eine Ver-
fassungsänderung enthalten, z. B. durch Erwerb oder Verlust
von Bundesgebiet gemäß Art. 1 bezw. 78 Abs. 1 und 2 R. V.
So sagt v. Seydel: „Wo der Friedensvertrag Aenderungen
der Reichsverfassung zur Folge haben soll, hat auch der Art. 78
R. V zur Anwendung zu kommen.“ Entsprechend muß auch
die Genehmigung eines einzelnen Bundesstaates eingeholt wer-
den, wenn es sich um Preisgabe eines vorbehaltenen Sonderrech-
tes in einem Friedensvertrage handelt.2)
Daß die Praxis beim Friedensschluß mit Frankreich, wie
bereits erwähnt, ein entgegengesetztes Verfahren bcobachtete,
indem die Vorlage der Friedensverträge erst nach der Ratifika-
tion und nur zur Kenntnisnahme an den Reichstag erfolgte,
zeigt, wie unvorteilhaft die jetzige Bestimmung in Art. 11
ist, welche die Friedensverträge den anderen Verträgen gleich-
stellt. Ebenso wie zur gültigen Kriegserklärung in den wichtig-
sten Fällen die Zustimmung des Bundesrates erforderlich und
genügend ist, so müßte auch die Mitwirkung des Bundesrats
zum Friedensschluß genügen, um die Interessen des Reiches bei
einem eventuellen ungünstigen Friedensvertrage, bei Gebiets-
verlust und dergl. nachdrücklich zu vertreten. 3) Eine Aenderung
des Art 11 R. V. in diesem Sinne würde m. E. die beste
Lösung dieser Streitfrage sein.
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1) Anderer Ansicht Hirsemenzel, I S. 5l Nr. 3.
2) Ebenso v. Seydel, a. a. O. S. 35 36; Laband, I S. 31 ff.
3) Unrichtig ist aber v. Seydels Ansicht, wenn er S. 36 ff. behauptet,
das Rrich besitze eine Landeshoheit überhaupt nicht und könne infolgedessen auch kein
Gebiet im Friedensvertrag abtreten. Die Gebictsabtretung, die etwa bei einem
Friedensvertrag notwendig werde, sei durch den Staat zu bewirken, den sie angehe,
und das Reich habe dazu seine Zustimmung zu geben. Denn zur Veräußerung von
Staatsgebiet sei nur der befugt, welcher die Staatshoheit hat, der Bund aber besitze
eine Landeshoheit überhaupt nicht.